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#Victor Man im Städel: In der Ruhe liegt die Kraft seiner Bilder

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Die Malerei des rumänischen Gegenwartskünstlers Victor Man ist tief in der Kunstgeschichte verankert. Im Frankfurter Städel sind nun neue Werke zu sehen: in der Galerie Alter Meister.

Die Menschen auf seinen Bildern wirken wie aus der Zeit gefallen, festgehalten in einem Raum, der nur ihnen allein gehört. Im Vorbeigehen könnte man einige der im Städelmuseum nun ausgestellten Porträts, die der rumänische Künstler Victor Man mit dunklen Ölfarben in der Tradition des Realismus malt, für Werke der Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts halten – oder noch früherer Epochen, doch entstanden sind sie erst jüngst.

Ursula Scheer

Redakteurin im Feuilleton.

2021 etwa das Halbporträt einer jungen Frau, die in einem grünen Kleid mit verrutschtem weißen Kragen vor einem Gemälde mit einem Tumult nackter Leiber sitzt und eine Blüte am Gürtel trägt wie ein geheimes Zeichen. Ihre zu Schlitzen verengten Augen erinnern an Figuren Amedeo Modiglianis – und schauen schwarz ins Leere. Fast kokett dagegen weicht eine elegant gekleidete Dame vor einem Muster aus Blättern und Blüten der Rosskastanie in einem Bild von 2015 dem Blick der Betrachter aus. Uns entgegen aus einem Augen schaut die Liegende, deren in tiefen Blau- und Grüntönen fast wie eine Skulptur modellierter Kopf nahezu die gesamte Fläche des kleinen Bilds „Girl in Love With a Wound“ (2020/21) einnimmt. Das Gesicht der Porträtierten ruht auf organisch-abstrakten, vage an Krebstiere oder Ranken erinnernden Formen: Ihr Geheimnis wird sie nicht preisgeben.

Der Maler ist als geisterhaft weißer Schatten im Bild: Victor Man, „Self with Father“, 2017


Der Maler ist als geisterhaft weißer Schatten im Bild: Victor Man, „Self with Father“, 2017
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Bild: Privatsammlung/VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Welches Umfeld seinen stillen, tief in der Kunstgeschichte verankerten Arbeiten am ehesten entspricht, weiß der 1974 ­geborene Man selbst genau. Auf eigenen Wunsch sind die zwanzig Bilder, die seine erste musealen Einzelschau seit einem Jahrzehnt im Städel versammelt, in der Galerie der Alten Meister platziert – das erste Werk sogar Seite an Seite mit diesen. So ergeben sich interessante Blickwechsel zwischen um 1500 von Wolfgang Beuer oder dem Meister der Stalburg-Bildnisse Verewigten und Victor Mans Selbstbildnis „Self With Father“ von 2017, in das sich als geisterhafter Schattenriss das Profil des Künstlers schiebt. Gemeinsam ist den Bildern die unnahbare Ausstrahlung, ein Ernst, den Man zur existenzialistischen Melancholie steigert. Wo in der alten Kunst mittelalterlicher Goldgrund strahlt, setzt Man in seiner seegrün verschatteten, von Ikonen beeinflussten Malerei fast grelle Farbakzente: Im Bild des Vaters ist es eine fluoreszierend wirkende blaue Linie am Haaransatz; in anderen Arbeiten leuchten Haut oder Stoff unwirklich gelb auf, glühen Haare in Rot oder durchbohrt der Schimmer weißer Perlen das Dunkel. Reproduktionen können diesen Effekt, den der Seidenglanz der Ölfarbe verstärkt, kaum einfangen.

Mans Kunst schöpft aus der Vorrenaissance ebenso wie aus der Neuen Sachlichkeit, dem Surrealismus oder Symbolismus und weckt Assoziationen an so unterschiedliche Künstler wie Jan Vermeer, ­Frida Kahlo oder Paul Gauguin. Immer wieder aktualisiert der Rumäne, der seine Lebens- und Arbeitszeit zwischen seiner Geburtsstadt Cluj, Rom und Berlin aufteilt, überkommene Vanitassymbole oder Motive der christlichen Ikonographie. Der diagonal über einen Hocker hingestreckte nackte Frauenkörper in „Girl With Goya’s Skull“ (2021) trägt einen Totenschädel in der Armbeuge neben dem Kopf; in „Self as the Man of Sorrows“ (2021) inszeniert der Künstler sich in der Nachfolge Christi als Schmerzensmann.

Bilderwelt eines Zurückgezogenen

Subversive Anverwandlung der Tradition ist kennzeichnend für einige der kommerziell erfolgreichsten Maler unserer Tage. Da wäre etwa die mit dem Großdealer Larry Gagosian verbandelte Kanadierin Anna Weyant mit ihren von der holländischen Malerei des Goldenen Zeitalters beeinflussten Frauenbildnissen oder die Britin Flora Yukhnovich mit ihren gemalten Neo-Rokokoträumen oder die polnische Neo-Surrealistin Ewa Juszkiewicz mit irritierenden Frauenbildnissen in der Manier des Empire. Internationale Anerkennung findet auch Victor Man längst: 2007 hat er Rumänien auf der Venedig-Biennale repräsentiert, er ist in bedeutenden internationalen Sammlungen und Museen vertreten (wie dem Städel), und auf Auktionen reißt man sich um die raren Werke, von denen er jedes Jahr nur wenige schafft und noch weniger hergibt. Im Juni erst kam bei einer Versteigerung in London eines seiner Bilder zum Zehnfachen der Taxe in den siebenstelligen Bereich.

Destruktion des Porträts: Victor Man. „The Chandler“, 2013


Destruktion des Porträts: Victor Man. „The Chandler“, 2013
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Bild: Privatsammlung/VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Dabei ist Mans Kunst nichts Zeitgeistiges zu eigen. Schon seine persönliche Verschlossenheit steht quer zur selbstwerbewirksamen Aufmerksamkeitskultur: Er gibt keine Interviews, hat keine Onlinepräsenz und lässt seine Kunstwerke, die oft Menschen aus seinem engsten Umkreis zeigen, für sich selbst stehen. Sie fordern dazu auf, sich irritieren zu lassen vom vermeintlich Vertrauten. In der nun erstmals vollständig ausgestellten, 2013 begonnenen Serie „The Chandler“ dekonstruiert Man das Porträt und variiert ein immer gleiches Motiv: Wie bei einer missglückten Fotografie ist in den Bildern der auf einem Stuhl sitzenden Frau der Kopf vom Bildrand abgeschnitten, dafür trägt sie ein Haupt – ihr eigenes? – in wechselnden Positionen auf dem Schoß. Eine moderne Medusa oder eine zeitgenössische Mär­tyrerin? „Chandler“ verweist auf den Kerzenmacher, der auch Dochte kürzt.

Mal durchbrechen fehlende Stuhlbeine die Eingängigkeit der Darstellung, mal erschreckt ein Messer in der Hand einer nur scheinbar in sich Ruhenden. Literarische Anspielungen reichen von Virginia Woolf über Gottfried Benn bis zu Friedrich Hölderlin, dessen Gedicht „An Zimmern“ der Titel der Schau, „Die Linien des Lebens“ entnommen ist. In dieser kleinen Retro­spektive sind es die persönlichen Lebens­linien Mans, die sich mit denen der Kunstgeschichte überkreuzen.

„Victor Man – Die Linien des Lebens“. Im ­Städel Museum, Frankfurt am Main; bis zum 4. Februar 2024. Der Katalog kostet 32 Euro.

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