#Vom Drama des wahren Lebens
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„Vom Drama des wahren Lebens“
Lady wurde sie trotz Elend zu Recht genannt. Auf keine amerikanische Sängerin der Nachkriegsjahre traf die Anrede besser zu als auf die Frau mit dem Federgang, der ausdrucksvollen Mimik, den Klunkern am Ohr und Blumen im Haar. Es lag aber auch Ungnade darin. Wie herabwürdigend Billie Holiday noch auf dem Höhepunkt ihrer Karriere behandelt wurde, in der Reihenfolge der bekannt gewordenen Fälle: von ihren Männern und Managern, die sie schlugen und damit prahlten, ihr Geld zusammenzuhalten. Von den Ermittlern in McCarthys Drogenkommission, die Holidays Sturz zu ihrem Anliegen gemacht hatten. Im für seinen Rassismus bekannten Federal Bureau of Narcotics soll sie wahlweise „Bitch“ und „this person“ genannt worden sein. Besonders schmerzhaft aber war die Ablehnung derer, die ihr vorwarfen, die Schwarzen in Misskredit zu bringen. Anders als Ella Fitzgerald.
Wenn es um ihre politischen Anliegen ging, griff die Jazzsängerin auf unerschöpfliche Empörung zurück. Bei ihrer ersten Festnahme zog sie sich nackt aus, später lachte sie die auf sie angesetzten Spitzel und Ermittler aus. Holiday war durch diverse Höllen gegangen, als Kind vergewaltigt, aus Armut zur Prostitution gezwungen, dafür verurteilt. Sie ließ sich nicht beirren. Für Selbstironie und Phantasie im Umgang mit ihrer eigenen Geschichte war immer Platz, wie ihre 1956 veröffentlichte Autobiographie „Lady Sings the Blues“ gezeigt hat.
Aber um ihr frühes Elend geht es in „The United States vs. Billie Holiday“ nicht, sondern um die letzten ihrer wenigen Lebensjahre, in denen sie als Star, der die Carnegie Hall in Manhattan füllt, mit einer Entourage aus Musikern, Freunden und Hunden in samtigen Salons sitzt, bis sie wieder irgendeiner ihrer Männer bei einer Meinungsverschiedenheit zu Boden prügelt, bis sie irgendein Agent verrät. Und sobald sie wieder raus ist aus dem Gefȁngnis, singt sie auf großer Bühne „Ain’t Nobody’s Business“. Von aufgeben ist nie die Rede, nur von Verzweiflungsmomenten, in denen sie zur Spritze greift.
Die Geschichte ihres letzten Jahrzehnts ist für den Regisseur Lee Daniels („The Butler“) auch die Geschichte um die öffentliche Genese ihres bekanntesten, politischen Songs „Strange Fruit“, den der Schriftsteller Abel Meeropol schrieb und vertonte, der von Lynchmorden in den Südstaaten handelt und den zu singen ihr größtes Wagnis war: „Southern trees bear a strange fruit, Blood on the leaves and blood at the root.“ Für ihn, nicht für ihre Heroinsucht wurde sie über Jahre verfolgt, mit ihm mobilisierte sich die Bürgerrechtsbewegung. Das zeigt der Film.
Die Soulsängerin Andra Day war in ihrer ersten Rolle als Schauspielerin für den Oscar der besten Hauptdarstellerin nominiert, wie Diana Ross 1972 in der Verfilmung von Holidays Autobiographie. Sie begann ihre Gesangskarriere in einem Kirchenchor in San Diego – vielleicht betont Billie Holiday im Film deshalb besonders, wie gern sie Gospel mag –, sie wurde durch auf Youtube gestellte Straßenmusik und Stevie Wonder bekannt, tourte mit Lenny Kravitz.
Dass aus dem Oscar nichts wurde, liegt nicht an ihr
Ihr Nachname Day ist ein Künstlername, nach Lady Day, wie man Holiday nannte, und tatsächlich gelingt ihr der mal pure, mal gebrochen-kehlige, unverkennbare Sound der Lady, was für sich schon eine Oscar-Nominierung wert gewesen wäre. Andra Day also singt, natürlich, „All of Me“, dieses Bekenntnis zu Verletzlichkeit und ultimativer Hingabe. Sie singt berührend, aber spät im Filmverlauf „Strange Fruit“. Und sie singt einen neuen Song, der eine Aufnahme in den Soundtrack der Filmgeschichte verdient hätte: „Break your Fall“. Ihre Bühnenszenen tragen den Film. Dass aus dem Oscar nichts wurde, liegt jedenfalls nicht an ihr.
In zwei Stunden und zehn Minuten arbeitet sich Lee Daniels in die Drastik hinein. Während Holidays Körper zunehmend unter der Sucht verkümmert, nimmt der politische Druck zu. Auf Tour durch die Südstaaten kommt es zu einer grauenvolle Lynchszene, die sich mit einer Drogenerfahrung überschneidet. Weder der Zeitpunkt noch der Zugang sind dafür geeignet, der Moment gerät zu einem verstörenden Erlebnis.
Die Rolle des Heroins in Holidays Leben zum Thema zu machen war die richtige Entscheidung, auch mit Blick auf Filme wie „What Happened, Miss Simone“, einer Dokumentation, in der Nina Simone, einer der faszinierendsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte, verkürzt unterstellt wird, ihre Aus- und Zusammenbrüche seien allein auf ihre bipolare Störung zurückzuführen. Aber die Erklärung, Holiday habe die Drogen gebraucht, um die Grausamkeit der Welt zu ertragen, klingt bei jeder neuen Wiederholung weniger schlüssig.
Warum der Film nicht auf die Kraft der Lebensgeschichte seiner Protagonistin und seiner Musik, die Präsenz seiner Darstellerin vertraut, ist unerklärlich. Stattdessen übernimmt eine Liebesgeschichte mit einem Regierungsagenten weite Teile der am Anfang noch mühsam aufgefächerten Erzählung. Die Affäre ist nirgendwo dokumentiert und beruht auf einer Randnotiz im Buch „Drogen: Die Geschichte eines langen Krieges“ des britischen Journalisten Johann Hari. Trevante Rhodes als Spitzel der Drogenbehörde bleibt farb- und sprachlos, das Drama, das sich hier andeutet, unterminiert das Drama der wahren Begebenheit und gerät in Konflikt mit Holidays bis dahin schlüssig entwickeltem Filmcharakter.
Mit etwas Wohlwollen ist „The United States vs. Billie Holiday“ eine Geschichte über Widerstand, Emanzipation und die Macht innerer Überzeugung. Als Dokument einer prominenten Lebenserfahrung, der eine hollywoodeske Rehabilitierung nicht schaden konnte – von den Behörden, die Holidays frühen Tod mit verursacht haben, wurde nie ein Versuch der Wiedergutmachung unternommen –, hat es seine Berechtigung. Für alles Übrige lohnt es sich, noch einmal einen Film von 1972 anzusehen.
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