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#Wann triffst du mich, Blitzlicht?

Edgar Degas starb am 27. September 1917 im Alter von 83 Jahren. Die gewaltige Menge von Kunstwerken im Nachlass des Junggesellen wurde von seinen Erben im Jahr darauf in acht Auktionen verkauft: fünf für die eigenen Arbeiten des Malers, drei für die alten und neueren Meisterkollegen. Den zwei Jahre älteren Édouard Manet hatte Degas um 34 Jahre überlebt. Von ihm enthielt die Sammlung von Degas acht Gemälde, darunter ein Porträt der Malerkollegin Berthe Morisot in Trauerkleidung. Über dieses Bild schrieb der Kritiker der „New York Tribune“ im Vorbericht zur Auktion im März 1918, es sei wie ein plötzlicher Blitzlichteffekt, der auf eine Leinwand geworfen wird. In der Beilage zur „Gazette des Beaux-Arts“ wurde es mit einem Wort charakterisiert: „baudelairisch“.

Patrick Bahners

Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

Diese Assoziationen dürften den professionellen Betrachtern spontan in den Sinn gekommen sein, als sie in der Masse des Ausgestellten das Porträt zu Gesicht bekamen, neben dem Stillleben eines Schinkens von Manet hängend, das später einen noch etwas höheren Preis erzielte. Die kritischen Reflexe legen nahe, dass Degas sich für Manet als einen Maler des modernen Lebens in mindestens zweifachem Sinne interessierte. Seit einem halben Jahrhundert gab es die moderne Malerei, als Degas starb, und ihre Kanonisierung war weit fortgeschritten. Sie hatte die prosaische Realität des zeitgenössischen Alltags als Sujet gewählt und auf dem Weg einer Poetisierung aus zweiter Hand bearbeitet. Ihre Gemälde konnten in neuartiger Weise sozusagen buchstäblich gelesen werden, dank literarischer Hilfestellung in Gestalt von kritischen Essays, aber auch von Gedichten.

Auch „Der Balkon“ von Manet wurde von einem Malerkollegen erworben. Gustave Caillebotte kaufte das Bild, für das Berthe Morisot, die Geigerin Fanny Claus und der Maler Antoine Guillemet Modell gestanden hatten, nach der Ausstellung im Salon 1869.



Bilderstrecke



Degas und Manet in Paris
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Freunde und Rivalen

Gleichzeitig war es im Rückblick offenbar unvermeidlich, das anhaltend Sensationelle, bleibend Revolutionäre dieser Malerei dadurch festzuhalten, dass man sie als Konkurrenzunternehmen zur großen technischen Novität der Bildherstellung durch Ablichtung hinstellte, zuerst zur Fotografie, später auch zum Film. Die auf der Straße im Vorübergehen erblickte Frau, die Charles Baudelaire mit seinem Gedicht „À une passante“ nachträglich anspricht, ist wie Berthe Morisot in Manets Bild in Trauer gekleidet. Und die Wendung, mit welcher der Dichter durch Fixierung des Blicks der Passantin ihre Erscheinung erfasst, mag die Bewohner einer elektrisch ausgeleuchteten Welt zwangsläufig an einen Blitzlichteffekt denken lassen. In der Übersetzung von Stefan George: „Ein strahl . . . dann nacht!“

Jähe Beleuchtung, summarische Verdunkelung

Degas stellte selbst fotografische Experimente an, und es gibt auch Filmaufnahmen von ihm. Aber für Manets Gemälde von 1874 kann eine fotografische Momentaufnahme noch nicht als Vorbild gedient haben. Man muss in der Geschichte der Fotografie ziemlich lange warten, bis man es mit Porträts zu tun bekommt, von denen man sagen könnte, sie erinnerten an Manets Bildnis seiner trauernden Schwägerin mit der erschütternden Balance von jäher Beleuchtung eines Gesichtsausschnitts und summarischer Verdunkelung der Umgebung. Der starke Hell-Dunkel-Kontrast wird durch den groben Pinselstrich sozusagen verdoppelt. So entsteht der überwältigende Eindruck eines ungeschützten und unvermittelten Gefühls. Komposition, Manier, Lichtregie wirken zusammen: Die formale Durchgestaltung des kleinen Gemäldes ist eine Entscheidung für das Übermaß.

Dem Passanten Baudelaires trat aus dem Lärm der großen Stadt „majestätischer Schmerz“ entgegen. Auf die Morisot dieses Bildes passt das Attribut nur, wenn man sie als eine Majestät vom Schlag Elektras apostrophiert, die den Ausdruck ihres Schmerzes unmöglich den Dienstboten überlassen kann. Auch abgesehen davon, dass das Gemälde ein Brustbild ist, fehlt der Porträtierten das Statuarische, das Baudelaire am Knie seiner flüchtigen Schönheit entdeckte. Die rechte Hand, im schwarzen Handschuh zur Faust geballt, hält sich die Trauernde vor die untere Gesichtshälfte, sodass ein Stück der rechten Wange herausgebissen zu sein scheint. Auch hat sie scheinbar nur noch ein Ohr. Der senkrecht aufgestellte rechte Oberarm zerschneidet die schwarze Masse, grau bemalt, als wäre der Maler unterbrochen worden; das Körperteilstück hat sich verselbständigt wie ein Requisit und könnte auch ein Regenschirm sein. Wir heutigen Nachfolger der Chronisten von „New York Tribune“ und „Gazette des Beaux-Arts“ denken mit unseren Referenzen kanonischer Modernität im Kopf automatisch an Francis Bacon.

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