Warum Innenminister Alexander Dobrindt den Familiennachzug aussetzt

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Manche Begriffe und politischen Vorgänge wirken so vertraut, dass man gar nicht mehr ahnt, dass sie erst relativ neue Schöpfungen sind. So ist es auch bei einigen Aspekten des Asyl- und Migrationsrechts. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) wird am Mittwoch einen Gesetzesentwurf ins Kabinett einbringen, mit dem der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre ausgesetzt werden soll. So ist es im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vereinbart.
Seit 2018 ist er bereits gedeckelt, maximal 1000 enge Familienangehörige können pro Monat ein Visum für Deutschland bekommen. Nun sinkt die Zahl der Visa für die Angehörigen von subsidiär Schutzberechtigten also auf null.
Diese Forderung war schon Bestandteil des Zustrombegrenzungsgesetzes der CDU. Über dieses Gesetz und seine Abstimmung im Bundestag mit der AfD kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Die SPD hatte damals aber nicht nur die Abstimmung mit Rechtsaußen thematisiert, sondern das Gesetz auch inhaltlich abgelehnt – etwa die Beendigung des Familiennachzugs. Nun, als Juniorpartner in der schwarz-roten Koalition, hat sie der Aussetzung für zwei Jahre aber zugestimmt.
Denn in der SPD hat man sich daran erinnert, dass man den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ja schonmal ausgesetzt hat, nämlich zwischen 2016 und 2018. Und dass der Familiennachzug für diese Flüchtlingsgruppe überhaupt erst kurz vorher eingeführt worden war, wie auch der gesamte Schutzstatus.
Subsidiärer Schutz ist recht neue Erfindung
Zwar wirkt der subsidiäre Schutz sehr vertraut, wohl wegen der vielen Syrer, die ihn in Deutschland erhalten haben. Er ist aber eine recht neue Erfindung des Asylrechts. Geschaffen wurde er auf europäischer Ebene, um eine Lücke zu schließen zwischen der Genfer Flüchtlingskonvention und dem individuellen Asylrecht.
Subsidiären Schutz bekommen seit 2011 in Deutschland Personen, denen in ihrer Heimat ernsthafter Schaden droht. Das betrifft vor allem von Bürgerkriegen geprägte Länder. Deswegen stellen Syrer, Iraker und Afghanen die größten Gruppen unter den subsidiär Schutzberechtigten. Derzeit fallen darunter etwa 351.000 Personen in Deutschland.
Bürgerkriegsflüchtlinge können aber weniger Rechte haben als Personen mit regulärem Flüchtlingsstatus. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte so bestätigt. Das betraf auch den Familiennachzug. Es gab ihn für subsidiär Schutzberechtigte in Deutschland erst einmal nicht. Eingeführt wurde er erst, als die damals regierende große Koalition einen Kompromiss mit den Grünen finden musste. Die Regierung wollte die Balkanländer als sichere Herkunftsstaaten einstufen, brauchte dafür aber die Zustimmung der Grünen im Bundesrat. Das gelang mit der Einführung des Familiennachzugs.
In den ersten Monaten betraf das nur wenige Personen. Doch im Herbst 2015 nahm der Flüchtlingszuzug enorm zu. Es kamen besonders viele Syrer, die unter den subsidiären Schutz fielen und nun also das Recht hatten, Ehepartner und Kinder nachzuholen. Das Bundesinnenministerium, damals geführt von dem CDU-Politiker Thomas de Maizière, sprach sich für eine Aussetzung des Familiennachzugs aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel, ebenfalls CDU, zeigte sich kritisch. Man einigte sich auf eine Aussetzung für zwei Jahre. Schon damals war die SPD aufgeregt bis empört.
Die Ampelkoalition vereinbarte 2021, die Begrenzung auf 1000 Personen aufzuheben, allerdings kam es dazu wegen der vielen ukrainischen Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen, nicht. Später sperrte sich die FDP grundsätzlich gegen das Vorhaben.
Kirchen kritisieren Dobrindts Entscheidung
Das Thema ist sehr emotional aufgeladen. Das zeigt sich auch an den aktuellen Reaktionen auf Dobrindts Vorgehen. Die Kirchen kritisierten die Entscheidung. „Die neue Bundesregierung setzt auf Symbolpolitik auf Kosten der Schwächsten und schreckt dabei auch vor klarem Rechtsbruch nicht zurück“, sagte die Grünen-Innenpolitikerin Schahina Gambir der Deutschen Presse-Agentur. Die Aussetzung des Familiennachzugs stelle einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und die UN-Kinderrechtskonvention dar.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte 2021 jedoch entschieden, dass Staaten den Familiennachzug für bis zu zwei Jahre generell aussetzen dürfen. Danach muss der Einzelfall geprüft werden. Das heißt, die Argumente für und gegen ein Nachzugsvisum sind abzuwägen. Dabei spielen die Länge der Beziehung eine Rolle, aber auch die Möglichkeit einer Rückkehr ins Heimatland, mögliche Straftaten und die Frage, ob jemand von Sozialhilfe lebt.
Nicht jeden Monat wurden die bislang 1000 möglichen Visa alle vergeben, seit 2018 waren es insgesamt etwa 58.000. Gerade der Beginn lief schleppend. Ein Visum für Familiennachzug muss bei den Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen beantragt werden. Der Prozess ist oft langwierig.
Wie es für die Syrer, die schon in Deutschland sind, weitergeht, ist weiterhin unklar. Die frühere Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) angewiesen, keine Asylentscheidungen mehr zu treffen, nachdem das Assad-Regime gestürzt worden war. Das Bamf ist verpflichtet, Schutzberechtigungen zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Noch steht eine neue Bewertung der Sicherheitslage in Syrien aus.
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