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#Was der Playboy von Habermas wollte

Was der Playboy von Habermas wollte

In Adornos „Minima Moralia“ gibt es einen Abschnitt über das „tough baby“, den Typ des „gut Aussehenden, der im Smoking, spät abends, allein in seine Junggesellenwohnung kommt, die indirekte Beleuchtung andreht und sich einen Whisky-Soda mischt“. Für diesen idealtypischen Leser erfand der abgebrochene Soziologiestudent Hugh Hefner den Playboy, dessen erstes Heft 1953, zwei Jahre nach Adornos Bestandsaufnahme des beschädigten Lebens, er­schien. Man könnte eine eigene Miniatur der „Dialektik der Aufklärung“ aus der Tatsache gewinnen, dass Adorno an dieser wie an anderen Stellen seiner Homophobie die Zügel schießen lässt (das „tough baby“ als verdrängter Homosexueller), während Hefner mit seinem Un­terhaltungsmagazin 1955 den ersten von zahlreichen Skandalen entfesselte, als er mit einer dystopischen Story von Charles Beaumont gegen die Diskriminierung von Schwulen Stellung bezog.

Das Playboy-Bunny schaute damals nicht ohne Grund nach links: In den folgenden Jahren kamen Muhammad Ali, Malcolm X und John Lennon im Heft zu Wort. Marshall McLuhan sagte das Ende der Gutenberg-Galaxis, Leslie Fiedler wenig später die Postmoderne voraus. Sogar der „siebzigjährige Superstar der Revolutionäre“, Herbert Marcuse, wurde 1970 mit einem sechsseitigen Porträt geehrt. Insofern ist es nur folgerichtig, dass die Redaktion des deutschen Playboys Professor Habermas gegenüber keine Berührungsängste kannte. Schon we­nige Monate nachdem im Sommer 1972 die erste Ausgabe erschienen war, wollten die Lifestyle-Schreiber den Theoretiker zu einem Rückblick auf Achtundsechzig animieren. Von seiner abschlägigen Antwort nicht entmutigt, trat der Redakteur im folgenden Jahr abermals an ihn heran: „Was halten Sie für das be­herrschende Thema der nächsten 25 Jahre?“, lautete diesmal seine Frage – eine Zeitspanne für soziologische Prognosen, die heute, abgesehen vom Klimawandel, astronomisch lang erscheint.


Bild: C.H.Beck Verlag

Man müsste an dieser Stelle prinzi­pielle Überlegungen über den Erwartungshorizont der erdölbasierten carbon de­mocracies der Nachkriegsjahrzehnte an­stellen. In der Geräumigkeit der offenen Zukunft ließen sich die grellsten Widersprüche der fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften vermitteln. Ob Avantgarde und Kulturindus­trie, schnelle Autos und Sozialstaat oder gehobene Unterhaltung und Theorie der modernen Gesellschaft: das Versprechen künftiger Teilhabe, das den westlichen Ge­sellschaften ihre Legitimität verlieh, vermochte auch der schönen neuen Welt, die der Playboy seinen Lesern in Aussicht stellte, einen fortschrittlichen, ja emanzipatorischen Touch zu verleihen. Selbst das Pin-up hatte seinen festen Platz in der roten Raubdruck-Ökonomie – nicht nur die Zeitschrift Konkret, auch der popkulturelle MÄRZ Verlag waren pornographisch querfinanziert.

Natürlich, der viel beschäftigte Ha­be­r­mas griff auch diesmal nicht zur Feder, sondern zog es vor, einen Aufsatz über „Le­gitimationsprobleme im Spätkapitalismus“ für den Münchner Merkur zu schreiben. Seine erneute Absage mag auch damit zu tun gehabt haben, dass der Playboy diesmal einen entscheidenden Moment zu spät gekommen war. Drei Jahre zuvor war Habermas nämlich vom urbanen Frankfurt an den Starnberger See ge­flüchtet, wo er das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebens­bedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt übernahm – ein symbolischer Akt, mit dem er mehr als das „Ende der Frankfurter Schule“ besiegelt sah. Schließlich besaß das Theorem des „Spät­kapitalismus“, das die Forschungsagenda des Starnberger Instituts be­stimmte, als solches unüberhörbare endzeitliche Konnotationen. Mit der Öl­krise, dem Ende des Wachstums und der „Stagflation“, die die planungsop­ti­mistischen Keynesianer zur Verzweiflung trieb, befinden wir uns in der Zeit des schrumpfenden Erwartungshorizonts. Selbst der enthusiastische Marcuse hatte auf die Frage des Playboy-Reporters, was seine Pläne für die Zukunft seien, resigniert geantwortet: „Who can plan anything anymore?“ Jedenfalls konnte der Playboy nicht mit Habermas planen. Der späte Vogel verpasst den Wurm.

Der Brief und der Beitrag sind ein Vorabdruck aus Heft XV/3 der Zeitschrift für Ideengeschichte, „H wie Habermas“, herausgegeben von Jens Hacke und Stephan Schlak, das am 26. August im Verlag C.H.Beck erscheint.

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