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#Was der Ukrainekrieg bei alten Menschen auslöst

„Was der Ukrainekrieg bei alten Menschen auslöst“

Wie die vergangenen Wochen waren? „Furchtbar“, sagt Elisabeth Schneider. Oft habe sie vor den Sieben-Uhr-Nachrichten gesessen und geweint. „Die armen Kinder im Keller, man darf gar nicht daran denken. Und wenn man es selbst mitgemacht hat . . .“ Schneider bricht die Stimme weg. Ihre Freundin Margareta Spahn springt ein. „Wir hatten immer Köfferchen bereitstehen, und wenn die Sirene losging, ging’s in den Keller.“ Weil es auf dem Land keine Luftschutzbunker gab, saß die Familie im Keller des Hauses. Einer Bombe hätte dieser aber kaum standgehalten. „Ich muss sagen, ich hab das ziemlich verdrängt, aber wie das jetzt losging, kam alles wieder hoch.“

Die beiden Frauen sitzen bei Elisabeth Schneider am Wohnzimmertisch. Die Wohnung gehört zum betreuten Wohnen des Frankfurter Alten- und Pflegeheims Hufeland-Haus. Auf der geblümten Tischdecke stehen eine Thermoskanne Kaffee, ein Kännchen Kaffeesahne und ein Teller Butterkekse, in der Luft hängen Erinnerungen. 90 und 84 Jahre sind die beiden Frauen alt. Als der Zweite Weltkrieg endete, war Schneider 13, Spahn acht Jahre alt. Fast ein ganzes Leben ist das her. Beide haben gearbeitet, Kinder und Enkel bekommen, ihre Ehemänner beerdigt. Doch durch den Krieg in der Ukraine ist die Kindheit im Krieg plötzlich wieder ganz nah.

Wie der Bruder noch einmal zwei Wochen auf Heimaturlaub war und dann nie wiederkam. Wie aus dem Umland zu sehen war, dass vor den Bomben Leuchtkörper zur Markierung an Fallschirmen auf Frankfurt niedergingen, die aussahen wie schwebende Weihnachtsbäume. Wie nach Kriegsende die amerikanischen Soldaten nachts die Häuser durchsuchten und der Familie mit ihren Taschenlampen ins Gesicht leuchteten.

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Wie den beiden Freundinnen gehe es gerade vielen alten Menschen in Deutschland, sagt Sabine Köhler, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Wenn sie Bilder aus der Ukraine sähen, kämen die Erinnerungen wieder. „Dann geht der Puls hoch, sie sind angespannt, unruhig. Diese Bilder tauchen in Träumen auf, kommen tagsüber hoch.“ Das gelte nicht nur für Menschen, die noch ganz konkrete Erinnerungen an den Krieg haben. Sondern auch für viele von denen, die 1945 noch Kleinkinder waren. „Man muss sich vorstellen, dass diese Menschen als Kinder eine existenzielle Angst erlebt haben. Weil es laut war, staubig, sie nachts aus den Betten gerissen und in den Keller getragen wurden. Aber auch, weil sie die Angst derer gespürt haben, die sie umgaben: Eltern, Großeltern, Nachbarn. Die haben alle keine Zuversicht ausgestrahlt.“

Auch Jüngere sind von Traumatisierungen betroffen

Auch der Traumatherapeut Udo Baer sagt, betroffen seien nicht bloß Männer, die im Volkssturm waren, oder Frauen, die nach dem Krieg Trümmer wegschafften. Sondern auch bis 1947 Geborene, die Hunger und Vertreibung erleiden mussten. Untersuchungen zeigten, dass ungefähr zwei Drittel der Menschen, die den Krieg oder die Nachkriegszeit bewusst erlebt haben, traumatisiert sind. Die Hälfte von ihnen habe gleich mehrere traumatische Erlebnisse gehabt. Insofern sei Altenhilfe immer auch Traumahilfe, sagt Baer. Allein schon die russische Sprache löse in vielen alten Menschen etwas aus. „Das ist eine tief verwurzelte Angst: Die Russen kommen, der Iwan kommt. Jeder Klang, jedes Bild kann das wiederbeleben.“ Deshalb empfiehlt Baer in diesen Tagen Alteneinrichtungen, in den Aufenthaltsräumen keine Nachrichten mehr zu zeigen.

Die Therapeutin Nadine Sennewald hat zu dieser Frage vor wenigen Tagen eine Fortbildung gegeben. Sie sagt, viele Einrichtungen versuchten das Thema von den Bewohnern fernzuhalten. Doch die meisten bekämen übers Handy oder durch Verwandte ohnehin mit, was geschieht. Und selbst demente Menschen, zu denen keine Nachrichten mehr vordrängen, seien in diesen Tagen aufgewühlt, weil sie die veränderte Stimmung um sich herum wahrnehmen.

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Elisabeth Schneider schaut inzwischen nur noch die Nachrichten, nicht mehr die anschließenden Sondersendungen. Und sie schaltet den Fernseher erst abends ein, um nicht den ganzen Tag aufgewühlt zu sein. Trotzdem schläft sie schlecht. Margareta Spahn nickt abends oft vor den Nachrichten auf dem Sofa ein und kann später im Bett nicht mehr schlafen. „Man hat gedacht, so was erlebt man nie mehr“, sagt sie.

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