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#Was jungen Erwachsenen helfen kann, wenn Vater oder Mutter sich umbringen

„Was jungen Erwachsenen helfen kann, wenn Vater oder Mutter sich umbringen“

Am Ende der Nacht, in der ihre Mutter sich erhängt hatte, wachte Antonia Goldschmidt mit einem schlechten Gefühl auf. Am Abend zuvor hatte sie ihr eine letzte Handynachricht geschickt: „Lebst du noch?“ Darauf war keine Antwort gekommen. Um überhaupt einschlafen zu können, hatte Goldschmidt das Schweigen ihrer Mutter auf den Streit zurückgeführt, den sie zuvor gehabt hatten. Zumindest hatte sie sich das eingeredet: Es liegt bestimmt an dem Streit. Aber befürchtet hatte sie, dass ihre Mutter diesmal wirklich tot sein könnte. Schließlich hatte sie in den vergangenen vier Jahren schon neunmal versucht, sich umzubringen. „Und das sind nur die Male, von denen ich weiß“, sagt Goldschmidt.

Katrin Hummel

Redakteurin im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen, leiden zuvor fast immer lange: De­pressionen, Klinikaufenthalte, Suizidversuche. „Die Angehörigen solcher Menschen standen vorher meist jahrelang unter einem enormen Stress“, sagt Birgit Wagner, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Medical School Berlin. Der Suizid der Mutter oder des Vaters sei dann die Eskalation nach einer langen Zeit hoher Be­lastung.

Antonia Goldschmidt etwa erzählt heute, zwei Jahre nach dem Tod ihrer Mutter: „Ich war seit ihrem ersten Suizidversuch wie eine Feder gespannt, hatte immer Angst um sie. Deswegen war ich nicht mehr Tochter, sondern nahm mich komplett zurück.“ Die ganze Zeit über habe sie versucht, ihre Mutter zu stabilisieren; keine Situation habe sie es­kalieren lassen. Am Tag vor ihrem Suizid habe die Mutter es dann aber mit Absicht zum Streit kommen lassen, „um es durchziehen zu können“, da ist sich die 33-jährige Psychotherapeutin sicher. Bis sie so darüber denken konnte, hat es lange gedauert.

Eltern erleben sich als Bürde oder Belastung

Tatsächlich kann eine Psychotherapie ein wichtiger Baustein sein, um einen el­terlichen Suizid zu verarbeiten, wenn man in einem Alter sei, in dem die Zu­kunft noch vor einem liege, sagt Birgit Wagner. Junge Erwachsene fragen sich nach einer solchen Tat vor allem: „Wieso tut mein Vater, meine Mutter mir das an?“ Dabei hat so ein Suizid nichts mit der Liebe zum Kind zu tun, und die Kinder haben auch keine Mitschuld daran. Fragen wie: „Warum habe ich mich dann und dann nicht anders verhalten, warum habe ich nicht noch mal angerufen, wieso haben wir gestritten?“ sind deswegen zwar typisch, führen aber in die Irre.

Vielmehr sei der Grund für den Suizid, „dass die Eltern sich als Bürde und Belastung erleben. Sie denken, sie machen es der Familie leichter“, erklärt Wagner. Zwischen der Entscheidung dazu und dem tatsächlichen Suizid liegen oft nur weniger als 180 Minuten, so eine neue Studie. Zu erkennen, dass sie so wenig Einfluss auf ein solche Tat haben, weil sie ganz unverhofft innerhalb eines kurzen Zeitfensters geschieht, kann die Angehörigen entlasten.

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Auch Antonia Goldschmidt, die wie alle erwachsenen Kinder in diesem Text eigentlich anders heißt, kann mittlerweile glauben, dass sie den Suizid ihrer Mutter nicht hätte verhindern können. Deswegen hat sie auch keine Schuldgefühle und kann offen über die Tat sprechen. Was ihr aber immer wieder auffällt: dass Menschen nicht akzeptieren können, dass ein depressives Elternteil so krank war, dass sie oder er keine Hilfe mehr wollte. Sie selbst, so Goldschmidt, habe jedoch verstehen und zum Schluss akzeptieren können, dass ihre Mutter nicht mehr leben wollte: „Sie hat fast immer nur geweint und unglaublich ge­litten, jeder Tag war für sie eine Qual.“ Ihre Mutter habe in jungen Jahren be­reits depressive Episoden gehabt und ha­be, nachdem ihr Mann, also Goldschmidts Vater, sie nach 35 Ehejahren ver­lassen habe, viele Antidepressiva ausprobiert. Über Wochen und Monate hinweg sei sie in Kliniken gewesen. Aber nichts habe etwas an ihrer Situation ge­ändert.

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