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#Wind lässt Schneeflocken schrumpfen und wachsen

Wenn Schneeflocken vom Wind verweht werden, sind sie massiven Kräften ausgesetzt, die die zarten Kristalle zerreiben. Doch der Wind sorgt auch dafür, dass das Wasser im Schnee abwechselnd fest und gasförmig ist, wie Versuche im Windkanal überraschend ergeben haben. Je nach Wetterlage nimmt der Schnee dadurch Wasserdampf aus der Luft auf oder gibt diesen ab. Diese windbedingte Metamorphose der Schneekristalle und ihre Wechselwirkungen mit der Atmosphäre sind in Klimamodellen bislang nicht berücksichtigt. Sie können aber den lokalen Wasserhaushalt massiv beeinflussen. Insbesondere die Modelle für die Polarregionen, wo Schneeverwehungen häufig sind, müssen daher nun angepasst werden.

Wasser hat je nach Umgebungstemperatur drei Zustände: Es liegt als festes Eis oder Schnee, flüssiges Wasser oder gasförmiger Wasserdampf vor. Doch jeder, der schon einmal in einen Schneesturm geraten ist, weiß, dass Schnee nicht gleich Schnee ist. Manchmal sind die Flocken zartweich, dann wieder eisig hart – vor allem bei vom Wind verwehtem Schnee. Solche Schneeverwehungen kommen in Berglagen und Polarregionen häufig vor. Dabei verlagern sich mitunter riesige Schneemassen. Aber verändert der Wind dabei die Form und den Zustand der Schneekristalle?

Massive Wechselwirkungen zwischen Schnee und Atmosphäre

Dies hat ein Team um Sonja Wahl von der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) in Sion nun anhand von Experimenten in einem ringförmigen Windkanal untersucht. Dabei analysierten die Klimaforscher per Mikrocomputertomographie die Größe, Form und Zusammensetzung der Schneekristalle. Außerdem analysierten sie die Anteile verschiedener natürlicher Isotope des Wasserstoffs und Sauerstoffs in den Wassermolekülen. Weil festes, flüssiges und gasförmiges Wasser unterschiedliche Anteile der schweren und leichten Wasserstoff- und Sauerstoff-Isotope enthält, lässt sich daraus auf den jeweiligen Zustand der Schneeflocken schließen. Auch Phasenübergänge, etwa von fest zu gasförmig, lassen sich daran erkennen.

Grafik zeigt die Metamorphose von Schnee in der Luft
„Metamorphose von Schnee in der Luft“: Einige Schneekristalle verdampfen im Wind, andere nehmen Wasserdampf auf und wachsen. © Wahl et al., The Cryosphere, CC-BY 4.0

Die Versuche ergaben: Wenn der Wind Schneeflocken herumwirbelt, formt er die Eiskristalle zum einen mechanisch um, indem er sie zerkrümelt und zerreibt. Sie werden so kleiner und verformen sich. Darüber hinaus wechselt das Wasser der Schneekristalle im Wind häufig zwischen fester und gasförmiger Phase hin und her. Ein Teil des sublimierten Wasserdampfes gelangt dabei in die Atmosphäre zurück, die Kristalle schrumpfen. Kleinere Flocken können sich dadurch komplett auflösen. Bei besonders starkem Schneetreiben kann es jedoch auch zum umgekehrten Prozess kommen: Dann nehmen Schneekristalle den Wasserdampf aus der Umgebung wieder auf, verfestigen ihn und wachsen dadurch mit der Zeit. Sie bilden dann eine eher rundliche Form.

„Die Ergebnisse der Windkanaluntersuchungen zeigten, dass es einen Temperaturunterschied zwischen Partikeln und Luft gibt, insbesondere bei größeren Partikeln, der die Ablagerung von Dampf und damit das Partikelwachstum begünstigt, während kleinere Partikel vollständig sublimiert werden“, so das Team. Durch diese Wechsel der Wasser-Aggregatzustände im Schnee verändert sich die lokale Energiebalance und auch die Luftfeuchtigkeit und der Wasserhaushalt in der Umgebung. „Es handelt sich um einen bisher unbeobachteten Prozess“, so die Forschenden.

Modelle zum Klima in Polarregionen könnten falsch sein

Dieser Gasaustausch der Schneeflocken mit der Atmosphäre verändert die Isotopenverhältnisse im Schnee auf der Erde – insbesondere in den Polarregionen, wo der Wind riesige Mengen Schnee verlagert und umbaut. Neben der Temperatur beeinflusst demnach auch der Wind, in welchem Zustand wir Wasser auf der Erde vorfinden. Das spiegelt sich auch in dem zu Eis verdichteten Schnee in Gletschern und tieferen Schichten der Polargebiete wider. Über Eisbohrkerne aus Polarregionen kann so ein Blick zurückgeworfen werden, wie das Wetter und Klima vor tausenden Jahren auf der Erde waren.

Doch Forschende haben aus diesen Bohrkernen und den darin enthaltenen Isotopen bislang fälschlicherweise nur die damalige Temperatur zum Zeitpunkt des Schneefalls abgelesen, nicht aber den Einfluss des Windes berücksichtigt. Diese Daten sind dann in Modelle zur Prognose der weiteren Klimaentwicklung eingeflossen und könnten demnach falsch sein, wie Wahl und ihre Kollegen erklären. Um die Isotopen in den Eisbohrkernen künftig richtig zu interpretieren und die polaren Klimamodelle zu verbessern, müsse daher auch der Einfluss des Windes einbezogen werden, schließen Wahl und ihre Kollegen. Die Forschenden wollen das neu entdeckte Phänomen daher nun tiefergehend untersuchen und in Klimamodelle integrieren.

Quelle: Sonja Wahl (École polytechnique fédérale de Lausanne) et al.; The Cryosphere, doi: 10.5194/tc-18-4493-2024

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