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#Wenn alles zur linken Geschichte wird

„Wenn alles zur linken Geschichte wird“

„Die Moderne war immer noch eine lebensprühende Idee. Wie sehr man sich wünschte, dass ein wenig von der Kühnheit, dem Optimismus, der Verachtung für den Kommerz überlebt hätte.“ Mit anderen Worten: Früher war alles besser. Doch Susan Sontag, die Robert Misik zum Auftakt als Respektsperson zitiert, schrieb das in einem Alter, in dem man die eigene Melancholie leicht verwechselt mit dem Untergang des Abendlands. Misik dagegen ist eigentlich noch ein wenig zu jung und viel zu flott, zu hip für spätherbstliche Nostalgie. Natürlich, vielleicht war früher wirklich alles besser, kann durchaus sein. Dennoch ist es verblüffend, wie angenehm ein Gutteil linksdekorativer Zeitgeister sich eingestimmt hat auf den Kammerton der guten alten Kulturkritik: Ja, hätten wir wenigstens noch die braven Altachtundsechziger, dann …!

In der Einleitung seines Buchs resümiert Misik seine These mit wünschenswerter Knappheit: In der Moderne geht die politische Revolution einher mit den revolutionären Künsten. Vielleicht auch umgekehrt. „Fortschritt im Wissen macht uns klüger. Der technische und ökonomische Fortschritt macht uns reicher. Der gesellschaftliche und soziale Fortschritt wird die Welt gerechter machen (oder hat zumindest das Potenzial dazu).“ Das ist entschieden hingesetzt, doch wer von den folgenden Kapiteln genauere Aufklärung erwartet, liegt falsch.

Mit flottem Griff holt er das rot gefärbte Kaninchen hervor

Und so erreicht man nach zweihundertvierzig langen Seiten das längst nicht mehr überraschende Fazit: „Bei weitem nicht alle prägenden Künstler und Künstlerinnen der Moderne waren ‚links‘, aber die Moderne ist eine in ihrem Inneren ‚linke‘ Angelegenheit, ihre Geschichte eine ‚linke Geschichte‘, mag sie heute auch nicht selten als eher weichgespülte liberale Modernisierungsgeschichte erzählt werden.“ Dazwischen entgeht keiner dem immer gleichen Tremolo dieser Bewegtheit: Balzac, Heine, Flaubert, Baudelaire, Verlaine, Rimbaud, Picasso, Duchamp, Brecht, Giacometti, Breton und so weiter, und irgendwann landet man zur Erholung bei Jelinek, naturgemäß.

Robert Misik: „Das große Beginnergefühl“. Moderne, Zeitgeist, Revolution.


Robert Misik: „Das große Beginnergefühl“. Moderne, Zeitgeist, Revolution.
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Bild: Suhrkamp Verlag

Der Leser merkt rasch, ernsthaftes Nachfragen auf diese Sündflut apodiktischer Behauptungen hat wenig Sinn. Das beginnt mit Politik: Was sich der Autor in entwickelten Industriegesellschaften, also im heutigen Wien, Berlin, Paris, ernstlich unter einer wünschenswerten „Revolution“ vorstellt, lässt er im rhetorisch erregten Dunkel. Sturm auf die Hofburg? Oder doch eher eine Sonntagsrede im Kulturamt? Dass diese Gesellschaften als konservative, veränderungsresistente Fossilien an die Wand gemalt werden, ist eher komisch in einer Zeit, wo sogar Minister abends schlafen gehen und morgens in einer anderen Welt erwachen.

Ein dünner Aufguss aus Psycho-, Sozio-, Politologieresten

Und so verpufft letztlich auch der Einwand, dass die ganze These des Buches schlechterdings nicht stimmt. Nein, in der Moderne gehen ökonomischer, politischer, kultureller Schub ganz und gar nicht im gemeinsamen Geschwindmarsch. Nein, die modernen Galionsfiguren in Kunst, Literatur, Philosophie waren ganz und gar nicht begeisterte Propagandisten der Moderne. Die Einwände bleiben sinnlos, weil Misik das im Grunde ahnt, dann aber mit flottem Griff das rot gefärbte Kaninchen hervorholt aus dem Zylinderhut: Hast du nicht gesehen, und schon ist auch, was nicht „links“ ist, eine „linke Geschichte“!

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