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#Wer a) sagt, darf auch b) sagen

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Wer a) sagt, darf auch b) sagen

Fast jede Schrift, die Carl Schmitt verschenkte, ob aus eigener oder fremder Feder, versah er mit einer Widmung. Martin Tielke hat diese Dedikationen gesammelt und in einer Broschüre zusammengestellt, die im vergangenen Jahr als Nr. 13 der Plettenberger Miniaturen der Carl-Schmitt-Gesellschaft erschienen ist: „,Geniale Menschenfängerei‘. Carl Schmitt als Widmungsautor“. Nicht selten setzt Schmitt in diesen handschriftlichen Vorbemerkungen seine Signatur unter oder über ein Zitat, und zwar nicht ein Exzerpt aus dem dedizierten Werk, sondern eine anderswo hergeholte Sentenz. Tielke charakterisiert Schmitts Widmungen einleitend so: „Sie zitieren aus der gesamten europäischen Bildungsgeschichte und bieten oft einen hermeneutischen Schlüssel für das Buch bzw. lenken den Leser zur ,richtigen‘ Lektüre.“ Funktioniert das? Was sind das für Bücher, deren Sinn Sätze aufschließen sollen, die dort nicht gedruckt stehen? Machen wir eine Probe.

Patrick Bahners

Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

Im März 1950 erschien im Internationalen Universitäts-Verlag Tübingen das 32 Seiten starke Heft „Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft“, Schmitts erste monographische Veröffentlichung nach dem Auslaufen des Publikationsverbots der Besatzungszeit. Noch im gleichen Jahr ließ Schmitt drei weitere Bücher folgen. Ein Exemplar der „Lage“ versah Schmitt Anfang April mit einer Widmung für Ernst Jünger, die Tielke mit mehreren Druckfehlern wiedergibt.

Das Zitat ist hier ein lateinischer Spruch, dessen zweite Hälfte in zwei Varianten angeführt wird, abgeteilt durch a) und b) und jeweils mit Angabe der Quelle. „Dilexi justitiam et odivi iniquitatem / propterea“: Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Ungerechtigkeit gehasst, deshalb (Tielke übersetzt falsch: „weil“), Version a), hat mich mein Herr mit dem Öl der Freude gesalbt, „unxit me Dominus meus oleo laetitiae“, so der 44. Psalm, beziehungsweise, Version b), werde ich im Exil sterben, „morior in exilio“, so die letzten Worte des heiligen Papstes Gregor VII., „sic ultima verba S. Gregorii VII Papae“.

Carl Schmitt zitiert in seinerWidmung für Ernst Jünger das geflügelte letzte Wort des Reformpapstes in der Variante mit „odi“ statt „odivi“.


Carl Schmitt zitiert in seinerWidmung für Ernst Jünger das geflügelte letzte Wort des Reformpapstes in der Variante mit „odi“ statt „odivi“.
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Bild: Foto Dietmar Katz / Staatliche Museen zu Berlin – Kunstbibliothek

Korrespondenz aus dem Exil

Reinhard Mehring hat 2017 in einem Aufsatz über das „Lage“-Büchlein in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht eine Interpretation der elaborierten Zueignung an den Schriftsteller vorgeschlagen. Mehring spricht von „einer alternativistischen Widmung“, die es „dem Adressaten“ überlassen habe, „sich auszusuchen, wie die Schrift wohl gemeint sei“. Annette Rink merkt in ihrem Buch über Ernst Jünger und die Antike an, dass Jüngers Lateinkenntnisse an diejenigen Schmitts wohl nicht heranreichten, aber so weit gingen, dass Schmitt den Eheleuten Jünger nach dem Kriegstod ihres Sohnes einen lateinischen Kondolenzbrief schicken konnte. Meint Mehring, dass Schmitt dem fachfremden Empfänger der lateinisch ausgeschmückten Broschüre, dem er 1942 einen thematisch verwandten Sonderdruck „invariabiliter“ dediziert hatte, mit dem Ausdruck unwandelbarer Gesinnung, eine Art Schulaufgabe stellte, unlösbar für Proleten – wie in Jüngers „Zwille“ die Schüler diejenigen Lehrer titulieren, die kein Latein können?

Mehring sortiert die beiden mit a) und b) aneinandergereihten Vervollständi­gun­gen des Satzes über die Folgen der Gerechtigkeitsliebe als zwei Arten von Bibelzitat ein, nämlich ein direktes und ein indirektes. „Aus der Bibel“ zitiere Schmitt den Wortlaut des 44. Psalms, den am 25. Mai 1085 in Salerno verstorbenen Gregor VII. „mit letzten Worten der Gottesverlassenheit, die auf die Kreuzigungsszene anspielen“. Aussuchen durf­te sich Jünger nach Mehrings Vermutung, welche der beiden Aussagen besser auf die persönliche religiöse Lage des Verfassers passte. „Zwar suchte Schmitt damals 1950 eine Wiederannäherung an die Katholische Kirche; der alte Weggefährte und Freund Ernst Jünger wusste aber sehr genau, dass Schmitt die institutionelle Vermittlung des religiösen Heilsversprechens eigentlich nicht für erforderlich hielt und eine biblische Unmittelbarkeit zu Gott annahm.“ Des vermeintlichen Rätsels Lösung: „Schmitt vertrat eine positive religiöse Grundbejahung und sah sich letztlich, mit dem Öl der Freude gesalbt‘.“

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