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#Wer ist der neue Direktor in Paris?

Wer ist der neue Direktor in Paris?

Kunstwissenschaftler, Ausstellungsmacher, Museumsdirektoren weisen die vielfältigsten Profile auf. Man findet unter ihnen Fachidioten wie Alleskönner. Erstere vergraben sich lebenslang in ein Spezialgebiet, Letztere durchstreifen mit behändem Flügelschlag das Universum der Epochen, Regionen und Gattungen. Das Biotop der Kunst braucht beide Typen. Wollte man Laurent Le Bon einem von ihnen zuordnen, wäre er klar ein Wandervogel, kein Maulwurf.

Eine Publikation hilft, das Profil des zweiundfünfzigjährigen Franzosen zu umreißen. Sie trägt den programmatischen Titel „Une autre histoire de l’art“ und stellt fünfzig im zwanzigsten Jahrhundert (wieder-)entdeckte „Meisterwerke“ aus Frankreichs öffentlichen Sammlungen vor. Im Vorwort schreiben Le Bon und seine beiden Mitherausgeber, es gehe ihrer „anderen Kunstgeschichte“ darum, Paradigmenwechsel im Auge der Betrachter aufzuzeigen: das plötzliche Aufleuchten zuvor unterbelichteter Zonen der Sensibilität als Folge der Bewusstwerdung neuer psychischer Räume.

Unter den fünfzig im Band beleuchteten „Meisterwerken“ finden sich Manets 1955 durch Georges Bataille zum Inbild der Moderne erhobener Spargelbund und Courbets 1995 im Musée d’Orsay enthüllter „Ursprung der Welt“, aber auch die Adelung des Propellers zum ästhetischen Objekt im Gefolge von Louis Blériots Überquerung des Ärmelkanals 1909, Roger Caillois’ poetische Entzifferung der „Schrift der Steine“ 1970 und Georges Henri Rivières Sublimierung von Hirtenmänteln und Hundehalsketten zu einem „Meisterwerk der Museographie“ im einstigen Musée des Arts et Traditions populaires 1975.

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Diese Fälle zeigen, dass Le Bon für eine Kunsthistorie einsteht, die nicht nur anders ist, weil sie sich vergessenen Werken, Künstlern oder Objekten zuwendet, sondern auch, weil ihr kein statisches, sondern ein dynamisches Geschichtsverständnis zugrunde liegt. Für den unkonventionellen Konservator sind künstlerische Arbeiten – nicht ausschließlich, aber doch zu einem Gutteil -, was eine Epoche in ihnen sieht. Sie mögen zwar beeinflussen, was nach ihnen kommt, werden aber ihrerseits durch das Prisma der ästhetischen Hauptströmungen und der gesellschaftspolitischen Kernfragen der jeweiligen Zeit betrachtet.

Nicht von ungefähr hinterfragte Le Bon in seiner gigantischen Ausstellung zur Eröffnung des Centre Pompidou-Metz 2010 den Begriff des Meisterwerks. Zunächst wurde gezeigt, was diverse Epochen unter einem Meisterwerk verstanden, von der Karolinger- bis zur Jetztzeit. Sodann hatte der Besucher die Wahl zwischen einer Saalfolge mit Werken des zwanzigsten Jahrhunderts, die sogleich Anerkennung fanden, und einer zweiten mit solchen – von Dada, Artaud bis Louise Bourgeois -, deren Zeit erst langsam gekommen war. Der letzte Abschnitt befasste sich mit der Reproduktion von Meisterwerken in Foto, Film und Druck.

Der neue Direktor des Centre Pomipdou, Laurent Le Bon, hat viel vor.


Der neue Direktor des Centre Pomipdou, Laurent Le Bon, hat viel vor.
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Bild: AFP

„Chefs-d’œuvre?“ war nicht nur stupend material-, sondern auch blendend gedankenreich. Viele Ausstellungen des Centre Pompidou-Metz, das Le Bon seit 2003 inhaltlich konzipiert und nach seiner Eröffnung bis 2014 geleitet hatte, zeichneten sich durch ähnliche Breite und Tiefe aus: „1917“ (ein stratigraphischer Schnitt durch das Kriegsjahr), „Vues d’en haut“ (der Einfluss von Luftansichten auf Kunst), „Paparazzi!“ (über Fotografen, Stars und Künstler), „Formes simples“ („schlicht“ Gestaltetes von der Urgeschichte bis zur Jetztzeit). Als Leiter des hauptstädtischen Musée Picasso verfolgte Le Bon seit 2014 eine ähnliche Politik der spartenübergreifenden Offenheit, etwa mit Schauen über das dichterische Werk des Andalusiers oder über Picasso als Comicfigur. Seine ganz eigene Interessengebiete wie Kochkunst, Höhlenmalerei und Naturkundemuseen werden sicher wohldurchdachte Ausstellungen hervorbringen.

Vielleicht ja am Centre Pompidou, zu dessen Präsident Le Bon jüngst ernannt wurde. Vor seinem offiziellen Amtsantritt am 19. Juli möchte er kein Interview geben. Doch während die Kür noch offensteht, ist das Pflichtprogramm bereits bekannt. Ab September 2023 wird das Zentrum für mindestens drei Jahre schließen, um sich der überfälligen Generalrenovierung zu unterziehen. 2025 soll zudem südlich von Paris ein besuchbares Museumsdepot eröffnet werden.

Le Bon wird nicht nur die Bauarbeiten beaufsichtigen, sondern auch und vor allem ein neues Gesamtkonzept ausarbeiten müssen. Das Musée national d’art moderne, einer der vier Standpfeiler des Centre Pompidou, platzt aus allen Nähten. Entweder es bekommt einen zweiten Standort, oder es übernimmt die Räumlichkeiten eines anderen Standpfeilers des Zentrums, der Bibliothèque publique d’information. Diese müsste dann ausziehen – doch wohin? Ein zukunftsträchtiges Konzept soll nicht zuletzt Mäzene anziehen: Die Finanzierung der (wohl zu tief) auf 200 Millionen Euro veranschlagten Arbeiten ist längst nicht gesichert. Mehr denn je scheint Le Bons Einfallsreichtum gefordert. 

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