Nachrichten

#Weder Sitzplatz noch Mitfahrt garantiert

„Weder Sitzplatz noch Mitfahrt garantiert“

Die Bahnsteige und der Vorplatz mit den Essensbuden am Frankfurter Hauptbahnhof sind am Samstagvormittag rappelvoll. Menschen mit Koffern und Rucksäcken steigen aus einem Zug aus und zwängen sich durch die Massen entweder zu dem Gleis, an dem ihr Anschlusszug abfährt oder in Richtung Ausgang. Es ist laut, die Luft stickig. Die Kombination aus dem neu eingeführten 9-Euro-Ticket und dem Feiertagswochenende bringen den Frankfurter Bahnhof und die Züge an den Grenzen ihrer Kapazitäten.

Das weiß auch Steffen Geers. Der 49 Jahre alte Diplomphysiker arbeitet eigentlich im Bereich Produktmanagement bei der Deutschen Bahn. Heute und an den nächsten Wochenenden steht er mit einigen Kollegen, gut sichtbar mit oranger Weste gekleidet, an den vollsten Gleisen und entlastet das Zugpersonal. Er gibt Auskünfte und zeigt Fahrgästen, wo vielleicht noch ein wenig Platz im Zug sein könnte. „Der Trick ist, bei diesem Kopfbahnhof immer bis zum Ende des Zuges zu laufen. Da ist es oft am leersten“, sagt Geers. Als nächstes hilft er Reisenden bei dem Einstieg in einen Zug nach Bamberg. Als dieser abfährt, hat er eine Standzeit von lediglich drei Minuten. Geers geht zu seinem Kollegen und sie geben sich die Faust: „Lief doch gut!“

Zwar hätte die Bahn versucht, der hohen Fahrgastbelastung entgegenzuwirken, sagt Geers, aber „das hier können die besten Modelle nicht antizipieren.“ Er zeigt durch das Fenster eines Zuges, der in Richtung Kassel fahren wird. Menschen stehen dicht an dicht. Ein Mann, der sein Fahrrad dabei hat, passt nicht mehr rein und muss auf den Nächsten warten.

Hilfreich und gut sichtbar: Am Frankfurter Hauptbahnhof hält DB-Reisendenlenker Steffen Geers für den letzten einsteigenden Fahrgästen die Tür auf.


Hilfreich und gut sichtbar: Am Frankfurter Hauptbahnhof hält DB-Reisendenlenker Steffen Geers für den letzten einsteigenden Fahrgästen die Tür auf.
:


Bild: Michael Braunschädel [FAZ-Recht

„Besonders die Fahrradmitnahme wird ein richtiges Problem werden“, sagt Michael Kullmann, der unter der Woche aus Niederweimar nach Frankfurt zur Arbeit pendelt. In Hessen ist die Fahrradmitnahme im 9-Euro-Ticket mit enthalten. Bei oftmals einer bis zwei Minuten Standzeit, die im Fahrplan vieler Züge je Bahnhof einkalkuliert werden, kann sich ein Zug auf der Strecke schon allein durch langsames Ein- und Aussteigen erheblich verspäten, sagt er. Oftmals würden auch nicht alle Fahrräder in den Zug passen. Kullmann freut sich dennoch über das neue Ticket, denn er spart bares Geld. „Normalerweise zahle ich 120 Euro im Monat für das Jobticket und das ist schon von meinem Arbeitgeber bezuschusst.“ Er arbeitet bei einer großen Bank in Frankfurt. Welche, will er nicht sagen.

Mittags ist der Regionalexpress 30 in Richtung Kassel besonders voll. Schon am Gleis ist es klar, dass einige Fahrgäste nicht mehr hinein passen werden. Im Waggon ist es heiß, die Luft so stickig, dass schon im Bahnhof die Scheiben von innen beschlagen. Neben vielen anderen im Regionalexpress stehen Pascal, Samuel, Sandro und Fabi aus Stuttgart. Die vier Freunde haben je einen großen Rucksack und eine Tüte dabei.

In 14 Stunden von Stuttgart nach Westerland

Die Stuttgarter sind alle im Alter zwischen 18 und 20 Jahren und sind entweder frisch in der Ausbildung oder machen im nächsten Jahr Abitur. Sie haben sich wegen des 9-Euro-Tickets entschieden, quer durch Deutschland zu fahren. Sie sind bereits seit 06:31 Uhr unterwegs. Zu dieser Uhrzeit ging ihr Zug von Stuttgart nach Karlsruhe. Dann fuhren sie mit der S-Bahn nach Heidelberg. Von dort aus dann mit der Regionalbahn nach Frankfurt. Und jetzt mit dem Regionalexpress nach Kassel. Nach ihrem Umstieg in Kassel werden sie noch weitere vier Male umsteigen, bis sie in ihrem Zielort ankommen: Westerland auf Sylt. Wenn alles gut geht, sollen sie ihr Ziel gegen 22:35 Uhr erreichen. Nach 14 Stunden Fahrt. Und, weil sie alle entweder arbeiten oder zur Schule gehen müssen, wollen sie bis Montagabend wieder in Stuttgart sein. Die Jungs nehmen es locker: „Die Fahrt ist ja auch spannend.“ Zwar haben sie alle einen Führerschein und hätten auch ein Auto für die Reise organisieren können, die aktuellen Spritpreise seien jedoch für Schüler oder Auszubildende wie sie nicht tragbar. Ihnen gehe es viel eher um „das Abenteuer“, sagen sie.

Kurz nachdem der Zug in Frankfurt losgefahren ist, kommt vom Zugführer eine Durchsage. Man solle nun jeden freien Platz besetzen, außerdem dürfe nun auch die erste Klasse mitgenutzt werden. Die vier jungen Männer rennen in Richtung erster Klasse. Sie haben eine taktisch gute Position und stehen bereits direkt in der Nähe. Dadurch gelingt es ihnen, einen Vierersitzplatz zu ergattern. Endlich sitzen sie bequem. „Es ist abartig voll seit Heidelberg“, sagt Fabi und trinkt einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Man schwitzt, ohne sich zu bewegen. Die Feuchtigkeit, die sich unter der Maske sammelt, ist unangenehm. Alle zwei Minuten habe sich jemand an ihnen und den anderen im Gang stehenden Fahrgästen vorbeigequetscht.

Dass das 9-Euro-Ticket eingeführt worden ist, finden die vier prinzipiell gut. Drei von Ihnen sparen dadurch Geld – bis auf Samuel. Er verliert. „Vorher hat mir mein Arbeitgeber pauschal 100 Euro für die Anreisekosten überwiesen“, sagt der 19 Jahre alte Auszubildende zum Landschaftsgärtner. Weil das Schülerabo-Ticket der Berufsschule, die er besucht, jedoch nur 62,50 Euro kostet, hätte er sonst die fast 40 Euro zur freien Verfügung gehabt. Geld, was ihm jetzt fehlt. „Jetzt überweisen sie mir natürlich nur noch die neun Euro im Monat.“

Zwischen Frankfurt und Friedberg bleibt der Zug das erste Mal außerplanmäßig stehen. „Das könnte eng werden“, sagt Sandro. In Kassel hätten sie nur zwölf Minuten Umstiegszeit. Bis nach Marburg schmilzt dieses Polster bis auf fünf Minuten zusammen. Doch den jungen Männern ärgert es kaum. „Wenn wir den verpassen, nehmen wir einfach den nächsten. Wir müssen heute ja auch nicht bis nach Sylt. Wir schauen einfach, wie weit wir kommen“. Und mit dieser Grundhaltung bleiben die Vier ruhig im Zug sitzen, bis Fabi überlegt: „Ich könnte mir gleich erstmal das erste Bier aufmachen“.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!