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#Ein singulärer Fall

Ein singulärer Fall

Die staatlichen Bemühungen um gerechte und faire Lösungen für Erben von Kunstsammlern, die im Nationalsozialismus um ihr Eigentum gebracht wurden, begleitet ein melancholischer Verdacht. Der Verlust, den die Öffentlichkeit durch die Entfernung eines Kunstwerks aus einem Museum erleidet, wird typischerweise, so die pessimistische Vermutung, nicht durch das Wissen kompensiert, dass nun eine Sammlung als Sammlung wiederhergestellt worden ist. Sehr viele restituierte Werke wandern auf den Kunstmarkt, und viele Eigentümer sehen sich schon deshalb genötigt, von ihrer Verfügungsfreiheit diesen Gebrauch zu machen, weil die Auffindung und Wiedererlangung des Verschollenen meist hohe Kosten verursacht haben. 

Patrick Bahners

Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

Das leuchtende Gegenbeispiel dafür, dass Restitutionen auch dafür genutzt werden können, die zerschlagene Sammlung wiederherzustellen, das heißt wieder zusammenzustellen und bei allen verbleibenden Lücken als Einheit auszustellen, ist im Virginia Museum of Fine Arts in Richmond, der Hauptstadt des amerikanischen Bundesstaats Virginia, zu besichtigen. Es ist seit 2009 die Heimat der Sammlung deutscher Expressionisten, die der Privatier Ludwig Fischer und seine Frau Rosy geborene Haas seit 1913 in der Mendelssohnstraße im Frankfurter Westend zusammengetragen hatten. 1990 war sie Gegenstand einer Ausstellung im Frankfurter Jüdischen Museum. Der systematische Ansatz der Sammlungstätigkeit der Eheleute, die sich von dem Frankfurter Galeristen Ludwig Schames beraten ließen, wies von vornherein über das Private hinaus. 

Um sich auf die Avantgarde, vor allem die „Brücke“, konzentrieren zu können, hatten sie sich von früheren Kunsterwerbungen getrennt. Bis zum Tod von Ludwig Fischer 1922 waren fünfhundert Werke zusammengekommen. Seine Witwe eröffnete in der Wohnung eine Galerie und verkaufte 1924 aus ihrem Sammlungsbestand 24 Werke an das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle. Diese Vorsorge für die dauerhafte Bewahrung der Zeugnisse des Kunstverstands des Ehepaars wurde nicht belohnt. Das Museum in Halle, das heutige Kunstmuseum Moritzburg, verlor in der Hitlerzeit durch die Beschlagnahmung der „Entarteten Kunst“ alle für den früheren Pioniergeist des Hauses charakteristischen Stücke.

Ein Journalist, der nicht mehr schreiben konnte

Rosy Fischer starb 1926. Ihre beiden Söhne Max und Ernst Fischer erbten die Sammlung zu gleichen Teilen. Ernst Fischer war Arzt und lehrte an der Frankfurter Universität. Nach dem Entzug der Lehrbefugnis verließ er Deutschland 1934 mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern. Er fand eine Anstellung am Medical College in Richmond. Ernst Fischer starb 1981, seine Witwe Anne wurde mehr als hundert Jahre alt und starb 2008. Nach ihrem Tod ging die Sammlung ins Eigentum des Virginia Museum of Fine Arts über. Ihr Verzeichnis belief sich damals noch auf 207 Nummern.

Der ältere Bruder Max Fischer hatte seine Hälfte der Sammlung nicht retten können. Er hatte Geschichte studiert, war 1917 in Heidelberg mit einer Untersuchung zu „Heinrich von Treitschkes Anschauungen über Wesen und Gegenstand der Geschichte“ promoviert worden und arbeitete für Zeitungen und den Rundfunk. Nach seinem Ausschluss aus den journalistischen Standesorganisationen suchte auch er im November 1935 in den Vereinigten Staaten Zuflucht. Seine Besitztümer ließ er in Berlin in der Obhut seiner Lebensgefährtin zurück. Im Gepäck auf der Reise nach New York hatte er eine „Südseelandschaft“ von Emil Nolde. Als Geschenk von George Fischer, dem Sohn von Ernst Fischer, kam das Bild 2014 nach Richmond.

2015 gab das Museum of Modern Art in New York das Gemälde „Sandhügel bei Grünau“ von Ernst Ludwig Kirchner an die Fischer-Erben heraus. Kurt Feldhäusser, ein Kunsthistoriker, der unter Hitler eine bedeutende Expressionistensammlung anlegte und kurz vor Kriegsende angeblich bei einem Luftangriff ums Leben kam, hatte das Bild bei Ferdinand Möller erworben. Diesem Kunsthändler hatte Max Fischer schon 1931 mehrere Bilder in Kommission gegeben. Ein zweiter Kirchner mit derselben Provenienz, „Autostraße im Taunus“, wurde den Fischer-Erben im September 2020 von einem deutschen Privatsammler übereignet, der das Bild eigentlich über ein Schweizer Auktionshaus hatte versteigern lassen wollen. Wie das Auktionshaus mitteilte, war für ihn die Zusammenführung der Sammlung Fischer in Richmond ein wesentlicher Grund, in die Restitution einzuwilligen, zu der er rechtlich nicht verpflichtet gewesen wäre.

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