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#Wie Cantautorap Italien erobert

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Wie Cantautorap Italien erobert

„Ich mag Plastik-Musik“, sagte Jovanotti vor ein paar Jahren in einem Interview. Ein Vergnügen sei das, in den Charts gegen dreißig Jahre jüngere Gewinner von Castingshows anzutreten. „Ich bin gerne Pop.“ Jovanotti, der den italienischen Hip-Hop groß herausbrachte, flirtete jahrelang immerzu mit dem Kommerz, geschadet hat es ihm nicht.

2021 war ein gutes Jahr für italienische Popfusionen, schon wegen der ästhetisch ernst zu nehmenden Band Måneskin, die den Eurovision Songcontest gewann. Andere investierten in die Fortsetzung von Jovanottis Werk, die heute die merkwürdige Zuschreibung „Cantautorap“ trägt, eine Mischung aus Songwriting und Rap, die in Italien möglich ist, weil sich italienische Rapper, auch inspiriert durch K-Pop, wieder mehr zu singen trauen und Genres und Formationen wechseln wie Frisuren – und von der ich erfuhr, als am Anfang des Winters meine Italopop-Liebe neu entflammte.

Knallig gekleidete Typen

Es begann mit einem Song von Franco126, der treffend „Maledetto Tempo“ heißt, verdammte Zeit also, und damit endete, dass auf meinem Herd die Pasta überkochte. Zunächst hatte er geklungen wie eine Ballade. Federico Bertollini, so heißt der Musiker aus Rom, der sich, wie ich erfuhr, nach der Anzahl der Stufen einer Treppe im Stadtteil Trastevere benannt hatte und als Rapper bezeichnete, sang da mit Opernstimme. Dann rief er seufzend „Maledetto“ aus, beklagte die verdammte Zeit, und zwar nicht nur die gesellschaftliche Großlage, sondern vor allem die Erkenntnis, erwachsen geworden zu sein und all die besonderen Momente unaufhaltsam davonfließen zu sehen, ähnlich wie das Nudelwasser.

Bei nächster Gelegenheit hatte ich eine Playlist ehemaliger Rapper zusammengestellt, die wie Franco126 Lucio Dalla ihr Vorbild nannten oder mit Autotune abgeschlossen hatten und von ihren mentalen Nöten sangen; Künstler, über die italienische Hip-Hop-Medien missgünstig schrieben, es handle sich um knallig gekleidete Typen, die Pop zum Geldverdienen machten, was wahrlich ein schweres Verbrechen ist. Ich testete die Playlist in Gesellschaft. Sie begann mit Frah Quintale und einem Lied namens „Missili“, das 2020 sogar Titelmelodie einer rührenden Netflixserie wurde. Im Song geht es um zwei, die sich streiten: „Ich würde gerne Frieden schließen, aber wir starten Raketen.“ Und akustisch sind die Raketen lauter zügig herausgeschossene Zeilen, deren Raptextur daran zu erkennen ist, dass Frah es nicht nötig hat zu atmen.

Es schloss sich „Catene“ an, ein fröhlich-fatalistisches Popwerk von Coez (erstes Album: „Terapia“, frühe Zusammenarbeit mit Marracash, einem der großen italienischen Rapper). „Catene“ handelt von jemandem, der zu viel trinkt und nach einem Gummiband ruft, um sich zusammenzureißen, ein rhythmisch ausgeklügelter Song, der unheimliche Lust aufs Tanzen macht. Inzwischen begannen meine anwesenden Freunde zynisch zu lächeln, so wie Sie jetzt, weil sich ja jede und jeder von uns an Adriano Celentano oder Zucchero erinnert oder an Zitroneneis mit Paolo Conte, an die besinnungslose Italienschwärmerei der Deutschen, und weil selbst jene, die noch glasige Augen bekommen, wenn sie San Remo hören, bei diesem neuen Sound erst einmal misstrauisch werden müssen.

Aber da folgte schon Gio Evan, der eigentlich Dichter ist und in „Joseph Beuys“ verwirrenderweise, aber mindestens genauso schön wie Wanda und im Stil der großen Liederdichter von Bologna singt und davon, in Stille sitzend die Welt zu verändern. Und nun hatten sich die Freunde an die Musik gewöhnt, sie sagten nichts mehr, nur ich saß da und fragte mich, warum mich diese dermaßen geschmeidige, hyperreflexive Musik so gut durch den Winter brachte.

Italienischer Pop, der erst ins Radio und von dort aus nach Deutschland gelangte, schien in den letzten Jahren des alten Jahrtausends von allem Politischen und Sozialen losgelöst, war mal sorglos, mal schwülstig, immer aufrecht in seiner romantischen Haltung. Der in den Achtzigern aufkeimende italienische Hip-Hop änderte die Perspektive, mit seinen amerikanischen Vorbildern, seinen spezifischen Sounds und Daseinskämpfen. Dann kam die Generation der Castingshows. Wer mit dem rauen Rap der Neunziger aufwuchs und seine künstlerische Leistung nicht in Punktewertungen im Fernsehen übertragen sehen wollte, gründete eine Hip-Hop-Gruppe in der Heimat, in Brescia, in Salerno, und wurde irgendwann Cantautorapper. Und brachte aus dieser Erfahrung neben einer stilistischen Neugier eine ironische Distanz zum eigenen Werdegang mit, eine Bereitschaft zum Versagen und ein sanftes Sehnen: „Ich möchte mit dir reden, aber ich würde meine Worte verschlucken, also trinke ich weiter Wodka Schweppes, vielleicht machst du den ersten Schritt.“

Es fanden auch Künstlerinnen ihren Weg in die Playlist, Elodie und die gefeierte Rapperin Priestess, aber alles in allem klangen sie zu ausgeglichen, zu zielstrebig für diesen Reigen verlorener Männer und ihr freimütiges Staunen über diese Welt.

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