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#Wie die EU ihre Macht ausbaut

Wie die EU ihre Macht ausbaut

Die EU kam bisher gut durch die Pandemie, so gut, dass sie seit dem Wochenende schon wieder systematisch über ihre Zukunft und neue sozialpolitische Aufgaben nachdenkt, die eigentlich nicht ihr Metier sind. Zukunft heißt in der EU Wachstum durch Krise, und weil man diesmal nicht so ausgelaugt, sondern mit soliden Geländegewinnen aus der Krisenzone kommt, kann man die Fühler schon wieder ausstrecken.

Das schien lange anders. Als die Pandemie hereinbrach, lag Brüssel wie eine Insel im Nebelmeer. Corona war der Moment der totgesagten Nationalstaaten. Die Brüsseler Institutionen mussten ohnmächtig verfolgen, wie die Länder ihre Grenzen hochzogen, als hätte es den Schengen-Raum nie gegeben, und bei der Beschaffung und Verteilung von Schutzmasken die europäische Solidarität in den Wind schlugen. Die EU-Gesundheitsbehörde reagierte spät und zeigte sich schlecht gerüstet. Wo die EU etwas unternahm, wie beim Ankauf von Schutzmasken, ging es erst einmal schief.

Vergleichbare Fehler ließen sich auch Nationalstaaten und Weltbehörden nachsagen, zumal föderale Systeme reagierten schwerfällig auf das Virus. Mit der EU ging man aber besonders scharf ins Gericht. Im Stil des Pannenberichts wurde kommentiert, wie sie die medizinische Gefahr unterschätzte und bei den Verhandlungen um Impfstoffe unnötig Zeit verstreichen ließ. Den europäischen Kommissaren wurden die zahlreichen Appelle an die Länder zum Abbau des Gesundheitssystems vorgerechnet, die nun dazu führten, dass in Intensivstationen Leben gegeneinander aufgerechnet werden mussten.

Test auf die politische Reaktionsgeschwindigkeit

Kurz: Der EU wurde der baldige Erschöpfungstod vorhergesagt, nach einer Serie von Krisen sollte das Virus nun der Sargnagel sein. Das war vorschnell und unterschätzte den Stand der Integration. Sollte man der EU überhaupt das Versagen auf dem Gesundheitssektor vorhalten, für den sie gar keine Zuständigkeit hat? Man kann es also auch anders sehen. Das eigentlich Erstaunliche ist dann, wie der niederländische Historiker Luuk van Middelaar in einem gerade auf Deutsch erschienenen Buch („Das europäische Pandämonium“, Suhrkamp) schreibt, dass man von der EU Tätigkeit auf einem Gebiet erwartete, für das sie kein Mandat hat, während man ihr sonst vorhält, ihre Kompetenzen zu weit auszulegen.

Den Brüsseler Institutionen scheint bewusst gewesen zu sein, dass man ihnen den Hinweis, man sei für Corona eigentlich nicht zuständig, nicht verziehen hätte. Das Virus war ein Test auf die Reaktionsgeschwindigkeit der Union in der Ereignispolitik. Hier zeigte sich, dass die EU als politischer Akteur weiterhin schwerfällig agiert, obwohl sie seit dem Vertrag von Maastricht zunehmend Kompetenzen dafür beansprucht.

An der Entwicklung des Impfstoffs hat sie trotz finanzieller Beihilfen relativ geringen Anteil. Der privatwirtschaftliche Sektor, der aus wirtschaftlichen Gründen die präventive Entwicklung von Impfstoffen versäumt hatte, handelte schneller als staatliche Institute für angewandte Forschung, und der Europäische Forschungsraum ist ohnehin in fragmentarischem Zustand.

Klandestiner Machtzuwachs

Die Pandemie war für die EU eine Bewährungsprobe auf unbekanntem Terrain. Je länger die Krise dauerte, desto selbstbewusster zog sie die Initiative an sich und lieferte den Nachweis, dass sie – mit den bekannten Unzulänglichkeiten – auf historische Momente zu reagieren weiß. Dass die Anschaffung von 500 Millionen Dosen Impfstoff für alle Europäer ihr überlassen wurde, ist keine schlechte Bilanz für eine Behörde, die dafür weder eine Abteilung noch die Zuständigkeit hat. Das Corona-Hilfspaket, finanziert durch zentrale Schuldenaufnahme, wurde schließlich als Krönungsakt gefeiert, obwohl es zunächst nur 750 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten bedeutet.

Die ökonomisch potenten Mitgliedstaaten fürchten seither, das Hilfspaket bereite einer Schuldenunion den Weg, die nach dem Vertrag von Maastricht verboten ist (sonst hätte Deutschland nicht zugestimmt), aber nun einen Präzedenzfall habe. Diese Befürchtung ist nicht unberechtigt, die wirtschaftlichen Folgen von Corona werden nicht auf sich warten lassen, und die EU hat ihren Machtzuwachs bislang häufig auf klandestinem Weg erreicht: durch rechtliche Integration, die Vertragsbefugnisse überschreitet, über die der den EU-Institutionen freundlich gesinnte Europäische Gerichtshof aber schützend die Hand hielt.

Sprichwörtlich ist die Monnet-Methode: Man überlastet die Institutionen mit Aufgaben, die sie, wie sich in der Krise zeigt, nicht erfüllen können, und nutzt den Krisenmoment, um ihnen weitere Kompetenzen zuzuweisen, ad infinitum. Dieses Spiel wiederholt sich nun auf verbesserter Grundlage. War es vor der Euro-Krise noch kaum vorstellbar, dass die Europäische Zentralbank Staatsanleihen in Billionenhöhe aufkaufen würde, weil sie damit die Bedingung des Maastricht-Vertrags, kein politischer Akteur zu sein, unterlaufen hätte, so verursachte die Auflage eines Programms (PEPP) zum Ankauf von Staatsanleihen und Wertpapieren im Volumen von Hunderten Milliarden Euro keine der Euro-Krise vergleichbaren Debatten mehr.

Die öffentliche Diskussion kreist um das Für und Wider der Schuldenaufnahme und flaut ab, wenn es um die Konditionen geht. Das ist aber keine weniger interessante Frage, schließlich geht es hier auch darum, ob die EU ihrem Anspruch sozialpolitisch gerecht werden kann – oder die sozialen Folgen nur an die Länder abschiebt. Dasselbe gilt für die von EZB mobilisierten Milliarden, die primär zugunsten von Banken, eigentlich insolventen Unternehmen und Aktienbesitzern verteilt werden und die soziale Kluft zur Mittel- und Unterschicht vertiefen, wie im Immobiliensektor sichtbar wird.

Mit viel Optimismus könnte man nun darauf hoffen, dass diese Nebenfolgen auf dem Zukunftsgipfel, der die Bürger beteiligen will, eine Rolle spielen. Ganz unabhängig davon wäre es an der Zeit, die konkreten Schritte genauer unter die Lupe zu nehmen, die dem jeweiligen Machtgewinn folgen.

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