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#Wie die Gäste und das Personal sich verhalten

„Wie die Gäste und das Personal sich verhalten“

Eine Soziologie der Luxushotels kam vor etwas mehr als fünfzehn Jahren in Gang, als eine junge amerikanische Soziologin sich nacheinander in zwei berühmten Häusern anstellen ließ, um an herrischen Gästen und störrischen Angestellten etwas über die Klassenkämpfe in ihrem Lande zu lernen. Dieses Erkenntnisziel hat Rachel Sherman, die heute in New York lehrt, damals zwar nicht erreicht, da die Beziehungen zum Hotelpublikum relativ konfliktfrei waren. Aber dafür gelang ihr eine Fallstudie über eine der erstaunlichsten Organisationen, die man sich vorstellen kann.

Die meisten Organisationen verstehen sich selbst als Dienst an ihren Nichtmitgliedern, die sie mit Autos und Kühlschränken, Krankenbehandlungen und Konfliktentscheidungen versorgen. In den Dienstpflichten der Organisationsmitglieder stecken also umgeleitete Publikumswünsche. Aber das heißt natürlich nicht, dass irgendein Nichtmitglied kommen und selbständig über solche Dienstpflichten entscheiden könnte. Dies zu tun ist vielmehr Sache des Vorgesetzten und letztlich der Systemleitung. Sie wählen aus, was der Kundschaft angeboten wird, und der einzelne Kunde findet sich an diese Vorauswahl gebunden. Auch der gemeine Hotelgast wählt heute nur zwischen standardisierten Angeboten und Zusatzleistungen, und zwar vielfach im Wege der Selbstbedienung an Minibar, Kaffeeautomat und Buffet.

Der Eingang des „Vier Jahreszeiten“. Das Hamburger Luxushotel  feierte am 24. Februar sein 125stes Jubiläum.


Der Eingang des „Vier Jahreszeiten“. Das Hamburger Luxushotel feierte am 24. Februar sein 125stes Jubiläum.
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Bild: dpa

Anders im Luxushotel. Hier ist auch der noch so ausgefallene Wunsch eines Gastes für die Angestellten verbindlich. Negative Legenden sagen manchen Gästen nach, wahre Wunder zu erwarten, positive Legenden manchen Portiers, sie vollbringen zu können: Wie organisiert man die Bahnreise einer Diva, wenn die Zugführer gerade streiken? Und wie den Blumenregen über der Geliebten eines Stammgastes, wenn dazu nicht nur zweitausend Rosenblüten, sondern auch ein Hubschrauber nebst abkömmlichem Piloten herbeigeschafft werden müssen, und beides binnen Tagesfrist?

Die Sonderwünsche der Stammgäste

Nach Abzug des Ausnahmehaften sind solche Fragen auch organisationssoziologisch legitim: Wie kann man verhindern, dass die Angestellten zwischen den untereinander unabgestimmten Wünschen, Zeitvorstellungen und Empfindlichkeiten ihrer Gäste aufgerieben werden? Eine erste Antwort liegt in der überreichlichen Ausstattung mit Personal. Es ist keine Seltenheit, dass auf einhundert Gäste dreihundert Festangestellte kommen. Das wiederum lässt die Zeiten der Unterauslastung zum Problem aller großen Hotels werden, und um es zu lösen, bieten sie mindestens in Amerika auch Zimmer für Gäste mit kleinerem Budget an. Gleichwohl kann die Arbeitszeit jederzeit knapp werden, lässt sich auch nur einer der Gäste etwas besonders Zumutungsreiches einfallen. Die Hotelangestellten wissen daher, wie man sich in Gesprächen mit anspruchsloseren Gästen kurzfasst, ohne dass diese es merkten. So erwirtschaften sie Vorräte an ungebundener Zeit, die dann teils als solche genossen, teils im Ernstfall mobilisiert werden kann.

Ein weiterer effektiver Schutz gegen das wilde Wünschen der Gäste liegt in der Sorgfalt, mit der ihre einmal gezeigten Vorlieben aufgezeichnet und memoriert werden. Auf die Sonderwünsche der Stammgäste ist man daher vorbereitet, noch ehe sie eintreffen, und vor dem Erstbesuch eines bekannten Namens ersetzt die Anfrage bei anderen Häusern den Blick in die eigenen Akten. Zum Gegenstand der Verzweiflung wird unter diesen Umständen, wer seine Präferenzen rasch wechselt.

Die mangelnde Vertrautheit des Fremden mit den lokalen Gegebenheiten macht ihn vom Rat der Angestellten abhängig, und diese empfehlen ihm dann oft diejenige Lösung als beste, die für sie selbst die einfachste ist. Einem der von Sherman befragten Gäste wurde zum Abendessen etwa das Hotelrestaurant empfohlen, und zwar mit der gewagten, aber erfolgreichen Begründung, überall sonst werde er nur auf Touristen stoßen.

Aber auch mit dem Bedientwerden selbst haben die meisten Gäste keine originäre Erfahrung. Auch aus den Häusern der Einkommensmillionäre ist das Hauspersonal längst verschwunden, weil es die auch dort gesuchte Intimität stören würde. Daher müssen die Herren auf Zeit durch ihre temporären Diener erst angelernt werden, und das verschafft diesen Einfluss auf die Lernziele. Das vielleicht wichtigste davon besteht darin, die Herren nicht zu verwöhnen. So lässt man den Gast, der eine Stunde vor der zugesagten Bereitstellung seines Zimmers erscheint, auch dann warten, wenn der Raum eigentlich schon bezugsfertig wäre.

Rachel Sherman, Class Acts: „Service and Inequality in Luxury Hotels“, Berkeley 2007; Lewis A. Coser, Servants: „The Obsolescence of an Occupational Role“, in: Social Forces 52(1973), S.31-40.

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