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#Mit Hasenmist und Elfenbein zum Nachwuchs

Mit Hasenmist und Elfenbein zum Nachwuchs

Es soll keiner sagen, germanistische Mediävistik sei dröge. Wer Regina Toepfers Buch „Kinderlosigkeit“ zur Hand nimmt, lernt etwas über Bikini-Medizin, Samens(p)ender und Wallfahrten, die zum Zweck der Reproduktion stattfinden. Mittelalterliche Konzepte der Unfruchtbarkeit werden auf ihre Langlebigkeit bis ins 21. Jahrhundert hinein abgeklopft. Tenor: Es gibt wenig Neues unter der OP-Leuchte – und das ist ziemlich faszinierend.

In die Falle mehrwertfreier Analogiebildung tappt Toepfer nur selten. Ihre „historisierende Komparatistik“ zielt weder auf einen Vergleich noch auf eine Entwicklungsgeschichte, sondern auf „einen Dialog zwischen heutigen Rezipientinnen und Rezipienten und vormodernen Texten“. Der gelingt meistens ausgezeichnet, obwohl die Grundannahme, dass Kinderlosigkeit kulturell konstruiert sei, zunächst konventionell postmodern daherkommt. Zwölf quellengesättigte, leichtgängig geschriebene Kapitel untermauern diese These. An den Diskursen der Zeit, von der Theologie bis zur Dämonologie, zeigen sich die vorherrschenden Erwartungen. Im Recht gibt es mit der „Anwünschung“ eine Frühform der Adoption. Der vergebliche Wunsch, Mutter zu werden, gilt als Scheidungsgrund. Keine Mixtur aus Hasenmist und Elfenbein ist zu wunderlich, sie hoffnungsvollen Wunscheltern nicht anzupreisen. Besonders schwerwiegend ist, damals wie heute, die Intervention eines Experten: „Erst durch dessen Urteil wird aus einer sozialen Situation, einem Leben ohne Kinder, eine medizinische Indikation.“

Frömmigkeit vor Fruchtbarkeit

Dieser gegenwärtig in der Forschung nicht wegzudenkenden Wissensgeschichte folgt der Entwurf einer „Typologie von sieben Narrativen, die den literarischen Geschichten über Kinderlosigkeit im Mittelalter zugrunde liegen“. Oder: Eine klassische Erzählanalyse zeigt auf vielfältige Weise, dass Nachwuchs der Casus Knacksus, wenn auch nicht immer das Ziel ist. Für manche Gläubige geht Frömmigkeit vor Fruchtbarkeit. Nebeneffekt: Die Kirche kann auf das Erbe hoffen. Die Jünger Jesu und die Ritter der Tafelrunde legen mehr Wert auf Gleichgesinnte als auf biologische Verwandtschaft. In der ständischen Gesellschaft des Mittelalters bleibt vor allem adeligen Männern keine Wahl: Verlangt das Land nach einem Erbfolger, muss auch ein Fortpflanzungsfeind ran. Wer dagegen vom Kinderwunsch nicht abzubringen ist, vertraut auf „göttliche Hilfe“ oder auf „gefährliche Dritte“ als Samenlieferanten.

Ein grundlegender Wandel, so eine der Kernaussagen, vollzieht sich mit der Reformation. Die „religiöse Fruchtbarkeitspropaganda“ der Protestanten macht Schluss mit der antiken und mittelalterlichen Wertschätzung der Kinderfreiheit. Die Hingabe an Gott und die Gelehrsamkeit treten hinter die Familie zurück.

Die mit den historischen Betrachtungen verflochtenen Seitenblicke auf das Hier und Heute sind oft so überzeugend wie amüsant: „Sowohl die ökologisch motivierte Kinderlosigkeit der Gegenwart als auch die religiös motivierte Kinderlosigkeit der Vergangenheit sind von einer Endzeitstimmung getragen, bei der ein Verzicht auf Reproduktion Erlösung bringen soll.“

Dem Debattenaffen Zucker geben

Allerdings sind die Ausführungen nicht von gleicher argumentativer Stärke. Den analytisch ausgefeilten, kurzweiligen Passagen zur „keuschen Ehe“ und „mystischen Mutterschaft“ stehen die eher einer Ansammlung von Inhaltsangaben gleichenden Abschnitte zu biblischen Geschichten gegenüber. Gefühle, ein zentrales Element des Themas, hätten eine systematischere Betrachtung verdient. Manche Parallelen kann man ziehen, muss es aber nicht. Mit Abstraktion lässt sich der spätantike Prediger Johannes Chrysostomos (4. Jh. n. Chr.) mit dem amerikanischen Queer-Forscher Lee Edelman vergleichen: „Beide verlangen, sich der reproduktiven Norm zu verweigern, doch verspricht der eine dafür einen innerweltlichen, radikal gegenwärtig gedachten Lustgewinn, der andere auf die religiöse Zukunft bezogenes, ewiges Heil.“ Auf einer solchen Ebene lässt sich alles mit allem irgendwie in Beziehung setzen.

Regina Toepfer: „Kinderlosigkeit“. Ersehnte, verweigerte und bereute Elternschaft im Mittelalter. J. B. Metzler Verlag, Berlin 2020. 510 S., Abb., geb., 29,99


Regina Toepfer: „Kinderlosigkeit“. Ersehnte, verweigerte und bereute Elternschaft im Mittelalter. J. B. Metzler Verlag, Berlin 2020. 510 S., Abb., geb., 29,99
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Bild: J.B.Metzler Verlag

Dem Debattenaffen geben diese Gegenüberstellungen ausreichend Zucker. Fruchtbarkeit sei „eine eigene Identitätskategorie“, bezeuge sie doch die Norm im vermeintlichen Normalzustand. Fehlender Nachwuchs mache Menschen zu Mängelwesen, obwohl sich die „fertile Identität“ im Laufe eines Lebens ändern könne. Darauf verweist die Autorin mit der eigenen Schreibweise von „Un*fruchtbarkeit“. Das „Fertilitätssternchen“ dient als Signal: Hier wird normativitätskritisch analysiert. So fehlt von Michel Foucault bis Judith Butler auch kein Kritiker von Diskurskräften und Ordnungsmustern.

Die Lektüre zeigt allerdings, dass sich der Erkenntnisgewinn dieser dem Zeitgeschehen geschuldeten Spielerei im Rahmen hält. Ein Grund ist Toepfers Entscheidung, Kinderlosigkeit und Unfruchtbarkeit, „da keiner der Begriffe vordiskursiv denkbar ist“, nicht in einen sozialen und einen biologischen Sachverhalt zu unterteilen. So sinnvoll das für die historischen Quellen erscheint, macht das heutige medizinische Wissen eine solche Verquickung untauglich: Keine Kinder zu bekommen ist, bei allem Verständnis für die Macht der Struktur, etwas anderes, als keine bekommen zu können.

Am Ende sind aber selbst die Schwächen des Buches eine Stärke, lassen die Ausführungen einen doch trefflich ins Nachdenken kommen. Teile der Geschichte müssten neu geschrieben werden, argumentiert die Autorin: Reichszentralisierungen und großzügige Schenkungen erscheinen in neuem Licht, ziehe man Kinderlosigkeit als Motivation für politische Entscheidungen konsequent in Betracht. Gilt das auch, fragt sich der Leser, für dynastielose Demokratien? Werden künftige Historiker nachwuchsfreie Staatenlenker besonders in den Blick nehmen? Doch selbst wenn das zu weit gedacht ist, erweist sich die „vergleichende Un*fruchtbarkeitsforschung“ als – Vorsicht: Analogie – sehr produktiv.

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