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Wieder zu Hause

Wenn Väter nach Hause kamen, dann wurden sie meist erwartet. Von wo sie auch kamen, Arbeit oder aus dem Krieg – es war ein Moment der Angst oder Freude. Und potentieller Enttäuschung. Was aber macht es mit einem, wenn der Vater aus dem Gefängnis heimkehrt? Und zwar zu neun Kindern, von denen eines in seiner Abwesenheit ausgerechnet zu einem vielversprechenden Popstar geworden ist?

Nach gut zehn Jahren wurde der Vater von Annie Clark, besser bekannt als St. Vincent, also entlassen. Wegen Finanzbetrugs in Millionenhöhe saß er in Texas ein, wo die Wahl-New-Yorkerin aufwuchs und ihn über die lange Zeit besuchte. Dass ihr Vater ein verurteilter Betrüger ist, das konnte sie lange geheim halten. Bis durch ihren wachsenden Ruhm und Liaisons mit Models und Schauspielerinnen ein Journalist anfing, in ihrem Privatleben herumwühlen. Dann war es raus, der Vater auch – und jetzt begegnet die talentierte Clark diesem Moment potentieller Enttäuschung mit einem neuen Album: „Daddy’s Home“ heißt es und ist ihr sechstes; wie ihr erfolgreiches „Masseduction“ (2017) hat sie es wieder mit Jack Antonoff aufgenommen.

Zurück in die Siebziger

Papa ist also zu Hause, ohne Ausrufezeichen, dafür aber mit energetischem ersten Track. „Pay Your Way In Pain“ beginnt ironisch mit Klaviergeklimper und wechselt abrupt ins Kraftvolle; ein Sound, der ungewohnt wirkt, weil einem bewusst wird, wie elegisch die Popsongs der letzten Jahre eigentlich geworden sind. St. Vincent will einen anderen Sound: Funk, Soul, New Wave, ja auch ein bisschen Psychedelic und Folk dazwischen.

„Pain“ ist David Bowies „Fame“ dabei so nahe, wie Ruhm und Schmerz ohnehin miteinander verbunden sind. Und da ist man auch schon genau in der Zeit, auf die sich Clark in „Daddy’s Home“ bezieht: die frühen Siebziger. Warum gerade diese Jahre? „Es ist eine Zeitspanne, die meiner Meinung nach der jetzigen entspricht. Wir sind in einer schmierigen, einer schäbigen Phase, in der wir versuchen herauszufinden, wo es eigentlich hingehen soll“, erklärte sie dazu. Also: „Ein idealistische Zeit, nach Flower-Power, aber vor Disco.“

Ein hinkender Vergleich, und so hören sich die ersten Lieder des Albums auch an. Nach dem impulsiven Einstieg mäandern die Songs bis zum ersten Interlude mit „Down And Out Downtown“ und dem titelgebenden „Daddy’s Home“ zwischen Funkgitarre und hymnischem Pathos, „Live In a Dream“ (mit sechseinhalb Minuten der längste Track des Albums) als psychedelische Hommage an Pink Floyd ist eher nervend als eindringlich.

„The Melting Of The Sun“ hat dabei eines der schönsten Liedtexte des Albums. Er handelt von Künstlerinnen – unter anderem Tori Amos, Joni Mitchell, Nina Simone –, die vermeintlich zu viel wollten: erfolgreiche Künstlerinnen sein und Missstände anprangern. Damit flogen sie zu nah an der Sonne. Dabei liegt es aber in der Natur der Sonne, dass sie brennt: „I wanna watch you watch it burn (So watch it burn) / We always knew this day would come (The day has come) / It’s just the melting of the sun“. Was bleibt dann noch? Standhaft bleiben, wie Tori, Joni, Nina selbst: „Girl, the world’s spinning ‚round / Spinning down and out of time / Girl, you can’t give in now /When you’re down, down and out“. Ja, die Welt dreht sich immer noch am besten, wenn sie auch ihre geliebtesten Künstlerinnen dabei zermürbt.

Wenn der Vater durch seine Abwesenheit präsent ist, wo ist die Mutter? Sie ist zu Hause und, weil immer präsent, nur im Hintergrund zu finden: In drei Zwischenstücken läuft sie quasi summend durchs Haus. Es sind Zwischenstücke, die auf diesem Album tatsächlich Sinn ergeben (im Gegensatz zu vielen anderen zeitgenössischen Popalben, die ohne diese scheinbar nicht mehr auskommen), denn sie markieren tatsächlich einen Soundwechsel: Mit „The Laughing Man“ tritt St. Vincent mit klarer Stimme hervor, die Backgroundsängerinnen, die bis dahin die Liedtexte brav bestätigend wiederholen, treten in den Hintergrund. Und dann kommt „Down“, der zweifelsohne beste Song des Albums, astreiner Pop, der sich ganz nach St. Vincent anhört und seinem Anspruch als Rachesong wahrlich gerecht wird, einfach weil er Spaß macht.

Sprachspiele und Kunstfiguren

Clark gefällt sich in ihrer Cleverness ihrer Texte, beispielsweise wenn sie den Satz „If life is a joke“, nicht wie in der englischen Redensart mit der Frage „then why aren’t we laughing?“ beendet, sondern mit „then I am dyin’ laughin’“. Wie ihre für sie typischen Wortspiele („Down and Out Downtown“, „My Baby Wants A Baby“) werden sie so jedoch etwas erwartbar.

Diese Lust am Sprachspiel passt, denn auch wenn Clark mit diesem Album wohl ihr bisher persönlichstes veröffentlicht hat, so liebt sie weiterhin ihre Kunstfiguren: „Strange Mercy“ (2011) drehe sich um „verzweifelte Hausfrauen auf Pillen“, „St. Vincent“ (2014) sei eine „Sektenführerin der nahen Zukunft“; bei „Mass- eduction“ ginge es um eine „Dominatrix in einer Nervenheilanstalt“.

Für „Daddy’s Home“ inszeniert sie sich lasziv mit blonder Perücke, Flokatimantel und Smokey Eyes und sieht dabei Candy Darling, Warhol-Muse und einer der ersten trans Stars, dem sie den letzten Song widmet, nicht unähnlich. Welcher „Daddy“ ist denn eigentlich gemeint? Vielleicht doch der, der das Seidennegligée gekauft hat, das sie trägt und ihn damit kokettierend vorführt?

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