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#Willenlos durch die Nacht

Willenlos durch die Nacht

Ist Jochen Alexander Freydank der einzige und letzte Regisseur in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen (weltweiten) DDR-Überwachungsstaat (neuerdings: „Metaversum“) aufbegehrt? Nicht ganz der letzte vielleicht, aber doch einer der entschlossensten. Sowohl in „Dein Leben gehört mir“ (Sat.1) als auch in der „Liar“-Adaption „Du sollst nicht lügen“ (Sat.1) spielt die verheerende Macht des Onlineprangers eine entscheidende Rolle. Für RTL wiederum hat Freydank Sebastian Fitzeks Roman „Das Joshua-Profil“ als Action-Thriller verfilmt. Eine Precrime-Software wird darin zum Terrorinstrument.

Nun legt er für die ARD die Adaption von Marc Elsbergs IT-Bestseller „Zero – Sie wissen, was du tust“ vor, ebenfalls eine grelle Technodystopie, aber detaillierter recherchiert als bei Fitzek. Im Buch denkt der Autor vor dem Hintergrund kommerzieller Totalüberwachung inklusive Social-Score-Belohnungen für wohlgefälliges Verhalten (eine „ActApp“ zur Selbstoptimierung hat schier unbegrenzte Macht) über das Ende der freien Willensbildung nach. Obwohl bereits 2014 erschienen, in Computerjahren gerechnet also vor einer halben Ewigkeit, war das ziemlich hellsichtig. Schließlich befanden sich Alexa, Siri oder Google Assistant damals noch in der algorithmischen Kinderkrippe.

Der Regisseur macht sich „ernsthaft Sorgen um unsere Demokratie“

Auf dem Film Festival Cologne, wo Freydanks Nahzukunft-Fantasie in kalt modernistischer Beton-Optik soeben ihre Premiere feierte, warb der Regisseur denn auch dafür, in „Zero“ mehr als leichte Unterhaltung zu sehen. Er mache sich „ernsthaft Sorgen um unsere Demokratie“. Als jemand, der „im Osten aufgewachsen“ sei, wisse er, was Überwachung bedeute. Die Verbindung mit Daten-Sorglosigkeit sei fatal. Über einen so perfekten, auch noch freiwillig – wenn es denn den freien Willen noch gibt – zugestandenen Blick „in unsere Schlafzimmer, in unsere Wohnungen, in unsere Seelen“, so Freydank, „wären die in der DDR froh gewesen“. Dass der Drehbuchautor Johannes W. Betz die Handlung des Romans stark gestrafft und aus den Vereinigten Staaten nach Berlin verlegt hat, begrüßte Elsberg in Köln ausdrücklich. Es sei so hervorragend gelungen, zu erzählen, wie man Jugendliche digital unter Druck setzen könne. Die Technik an sich sei dabei unschuldig, es gehe darum, wer sie wie nutze.

Eine Datenthriller-Regel lautet: Der Hacker (Pit Bukowski) ist immer der Gute.


Eine Datenthriller-Regel lautet: Der Hacker (Pit Bukowski) ist immer der Gute.
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Bild: WDR/Volker Roloff

Und auch die Hauptdarstellerin Heike Makatsch – sie spielt die Journalistin Cyn­thia, die über eine harsch kriminalisierte Widerstandsgruppe namens Zero berichtet und zugleich durch ihre eigene Tochter Viola (Luise Emilie Tschersich) in Kontakt mit der Angst und Glück der Nutzer perfekt steuernden Beta-Version einer verbreiteten Social-Software aus dem Freemee-Konzern kommt – hob „die große gesellschaftliche Relevanz“ des Films hervor. Zu der in sozialen Medien kreierten Realität könne inzwischen keine Distanz mehr hergestellt werden, „weil wir Teil von ihr sind“.

Nach so viel Aufladung des Films mit medienkritischer Bedeutung erstaunt dann doch, dass just die Techno-Dimension trotz langatmiger Szenen, die uns Datenbrillen, Einfluss-Apps oder individuell gestaltete Avatare (Cynthias toter Ehemann) in all ihrer verführerischen Gefährlichkeit vor Augen führen wollen, höchst holzschnittartig geraten ist. Nicht wirklich nachvollziehbar bleibt auch der dramaturgisch wichtige Handlungsstrang, in dem ein Freund Violas zu Tode kommt. Die ActApp soll dafür verantwortlich sein, allerdings wohl eher aufgrund schlechter Programmierung.

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Da wirkte das Cybermobbing in Freydanks anderen Filmen deutlich bedrohlicher. Klischeehaft ist aber vor allem die unfreiwillig an Comics gemahnende Darstellung der beiden zentralen Gegenspieler geraten, des anonymen Hackers im Hoodie – der Kopf von Zero – und des kaum weniger anonymen Tech-Gurus (Sabin Tambrea), der als dämonisch grinsender Captain Future sein Produkt gegenüber Cynthia als Lebenshilfe beschreibt – „Alle wollen zu den Coolen gehören, und das geht jetzt. Wir wissen nämlich schon vor den Coolen, welche Marken sie demnächst tragen werden: Die ActApp sagt ihnen, was sie mögen“ –, der aber eigentlich der Vision anhängt, mittels KI-Algorithmen eine „bessere Welt“ zu erfinden: „Wir schaffen die Regierungen ab.“ Unter der Weltrevolution ging es wohl einfach nicht.

Spezifisch moderne Entfremdung

Für einen spannenden Thriller über Wählermanipulation durch Firmen wie Cambridge Analytica oder über die Folgen einer Verschmelzung von Fakten und Fiktionen innerhalb der eigenen Netzwerkblase hätte es das derart überzeichnete Genie der Finsternis in seiner futuristischen Trutzburg allerdings gar nicht gebraucht. Der Einfluss ist schließlich längst da, aber weit smarter als hier erzählt.

Auch hat man schon interessanter inszenierte Journalistinnen gesehen als Makatschs Figur. So verhebt sich der Film am Thema Big Data und kommt als Hacker-Thriller eher unbeholfen rüber. Was ihm indes ganz gut gelingt, ist die Darstellung des Mutter-Tochter-Konflikts. Diesem liegt ein handfestes Problem zugrunde: Cynthia hat Viola aufgrund der Pflege ihres Ehemanns vernachlässigt. Das aber verbindet sich nun mit einer spezifisch modernen Entfremdung.

In einer der stärksten Szenen fragt sich die Jugendliche nach dem Tod ihres guten Freunds verstört, warum sie denn nichts fühle. Die Gefühlssteuerung ist eben schon an die Psycho-App ausgelagert. Ihrer emotional noch analogen Mutter fällt dazu nicht viel anderes ein als verpuffende Technikkritik. Zwischen Generationen, die ihr Leben in derart unterschiedlichen Geschwindigkeiten absolvieren, das zeigt sich hier schön an vielen kleinen Details, ist die Kommunikation so grundsätzlich gestört, dass selbst Trost oft nicht mehr funktioniert. Da handelt „Zero“ nicht mehr von der nahen Zukunft, sondern ganz unmittelbar von der Gegenwart.

Zero läuft heute um 20.15 Uhr im Ersten.

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