#»Wir sollten in den Erneuerbaren keine Bedrohung sehen«
Bei der Leserreise „Energiewende“ befragten bdw-Leserinnen und -Leser Prof. Jan Wenske, den stellvertretenden Chef des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme IWES in Bremerhaven, nach den Perspektiven der Windenergie.
Das Gespräch moderierte WOLFGANG HESS
Vor einigen Jahren gaben deutsche Windenergieanlagen-Hersteller den Ton an, heute sind es vor allem Firmen aus China. Wie wird das weitergehen, Herr Prof. Wenske?
Unter anderem beim Maschinen- oder Getriebebau sowie bei der Herstellung von Großwälzlagern spielt der Standort Deutschland immer noch in der ersten Liga. Bei den Windenergieanlagen-Herstellern haben wir bis auf Enercon keinen rein deutschen Hersteller nennenswerter Größe mehr. Enercon hat noch einen Weltmarktanteil von 2,4 Prozent und ist damit nicht mehr unter den internationalen Top 10. Die spanisch-deutschen Unternehmen Siemens-Gamesa RE und Nordex-Acciona haben zusammen einen Anteil von 16 Prozent. Im Moment sehe ich keinerlei Anzeichen für ein Wiedererstarken oder weiteres Wachstum bei den deutschen Herstellern. Auch bei den jeweiligen Top-Turbinenentwicklungen im Offshore- und Onshore-Bereich haben die chinesischen Hersteller die Nase deutlich vorn. Wenn man den Ankündigungen glaubt, so stehen vier von ihnen vor der Markteinführung von Offshore-Turbinen mit 16 bis 22 Megawatt Leistung und 252 bis 310 Meter Rotordurchmesser – ebenso Onshore-Turbinen mit 8 bis 10 Megawatt mit bis zu 220 Meter Rotordurchmesser. Die westlichen Hersteller bieten derzeit Leistungsdaten von 14 bis 15 Megawatt und 220 bis 236 Meter Rotordurchmesser offshore sowie 7 Megawatt mit bis zu 170 Meter Durchmesser onshore an. Bei Windenergielagen bedeuten diese vermeintlich kleinen Unterschiede bereits Welten. Die potenzielle Energieausbeute der Anlagen steigt, vereinfacht betrachtet, quadratisch mit der Rotorblattlänge – also linear mit der überstrichenen Rotorfläche.

Jan Wenske (*1968) hat Maschinenbau studiert und 1999 am Institut für Elektrische Energietechnik der TU Clausthal promoviert. Nach Stationen in der Industrie ist er seit 2011 stellvertretender Institutsleiter und Chief Technology Officer (CTO) des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme IWES mit Sitz in Bremerhaven. Seit 2013 ist er zudem Professor für Windenergiesysteme an der Universität Bremen. Das Fraunhofer IWES ist auf neun Standorte in Deutschland verteilt, in Bremerhaven sind knapp 200 Personen beschäftigt.
Der Weltmarktanteil der Chinesen liegt inzwischen deutlich über 50 Prozent. Was ist zu tun, um Europa wieder ein größeres Stück vom Kuchen zu verschaffen?
Die Industrie hat es speziell in Deutschland mit ständig wechselnden politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu tun. Die Ausbaupläne verändern sich ständig, die überbordende Bürokratie für Planung und Genehmigung neuer Anlagen und Windparks wird hingegen sehr schleppend abgebaut. Wir hatten schon einmal, von 2014 bis 2017, einen stabilen jährlichen Zuwachs von vier bis fünf Gigawatt installierter Windenergieleistung in Deutschland. Um unsere aktuellen Ausbauziele zu erreichen, müssten wir bis 2030 jedes Jahr durchschnittlich gut acht Gigawatt Wachstum etablieren. Doch jetzt sind wir auf zwei bis drei Gigawatt eingebrochen. Bei der Industrie führt ein solches Auf und Ab nicht selten zur Beendigung des Engagements. Ein Beispiel sind Gießereien, die die Naben der Windkraftanlagen fertigen – riesige Teile mit 50 bis 150 Tonnen Gewicht. Durch das Auf und Ab der Ausbaupläne gibt es nun nicht mehr ausreichend viele deutsche Hersteller, die für die Windenergie so große Naben gießen. Deshalb kaufen die Hersteller in China oder sonst wo in der Welt. Leider ist die Situation in anderen europäischen Ländern nicht viel besser. Mit anderen Worten: Durch kurzsichtige politische Entscheidungen haben wir einen wichtigen wirtschaftlichen Ast, auf dem wir Europäer sitzen, deutlich angesägt. Eine komplette Heilung scheint derzeit unwahrscheinlich. Das europäische Photovoltaik-Debakel mit Wirtschaftsverlagerung und damit Arbeitsplatzverlusten droht sich bei der Windenergie zu wiederholen. Allein in Deutschland gingen in der Windenergiebranche in den letzten fünf Jahren Zehntausende Arbeitsplätze verloren. Der politische Fokus liegt aber eher auf den rund 20.000 Arbeitsplätzen, die mit dem Kohleausstieg in Zusammenhang stehen. Ausgewogene, nachhaltige Wirtschaftspolitik sollte meiner Meinung nach anders aussehen.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Windenergienutzung angesichts des Klimawandels?
Die Windenergie ist ein wichtiger Baustein, um CO2-Emissionen global zu reduzieren. Allerdings: Durch sie allein bekommen wir das Klimaproblem nicht in den Griff. Keine Windturbine, die heute aufgestellt wird, ist CO2-frei. Schaut man sich den Energieverbrauch an, der für die Produktion der Windenergieanlage aufgewendet wurde, so hat sie sich jedoch an windreichen Standorten nach 6 Monaten energetisch amortisiert, an weniger ergiebigen Standorten immerhin in maximal 15 Monaten. Das ist mit Ausnahme von Wasserkraft, Photovoltaik und Solarthermie heute mit keiner anderen Energiequelle zu schaffen. Es bleibt die Herausforderung der fluktuierenden Leistungsabgabe dieser Quellen. Dafür existieren bereits technische Lösungen, die aber noch die erforderliche Marktreife für den Hochlauf erleben müssen. Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen können den Prozess stark beschleunigen, aber auch massiv bremsen. Deshalb ist hier jeder Einzelne gefragt, sich differenziert Gedanken zu machen und Aussagen zu hinterfragen. Plakative Aussagen wie „das geht nicht“ oder „das ist unbezahlbar“ sind nachweislich nicht richtig und für eine positive Gesamtentwicklung gegen den Klimawandel nicht hilfreich.
Verbessern sich durch den Klimawandel die Erträge der Windenergieanlagen?
Das ist etwas anders formuliert ein aktuelles Forschungsthema. Zwar ändern sich mit ziemlicher Sicherheit die globalen und regionalen Windverhältnisse durch den Klimawandel, doch eine klare Antwort haben wir noch nicht auf die Frage, ob das allein zu mehr Windenergie führt. Theoretisch könnte auch das Gegenteil der Fall sein. Allerdings beschäftigt uns aktuell mehr die Frage: Was bedeutet ein massiver Ausbau der Windenergie für die regionalen Windverhältnisse oder das Mikroklima, etwa durch veränderte Niederschläge oder Wolkenbildung. In der Wissenschaft stehen wir in der Verantwortung möglichst alle Seiten zu beleuchten – dazu gehören nach unserem Verständnis auch die möglicherweise negativen Aspekte neuer Technologien. Auf diese Fragestellung gibt es derzeit noch keine Antworten. Eine Analyse ist technisch äußerst komplex und mit vielen Unsicherheiten behaftet.
Wie werden sich die zunehmenden Extremwetterlagen auf die Windenergieanlagen auswirken?
Grundsätzlich werden bei allen Windenergieanlagen Extremereignisse berücksichtig – etwa Orkanböen oder die sogenannte 50-Jahresböe, vergleichbar mit einer statistisch gesehen äußerst seltenen Monsterwelle bei einem Schiff. Die neuen Offshore-Turbinen sind taifun-, hurrikan- und orkan-sicher. Sie sind entsprechend zertifiziert, aber nicht getestet. Das werden in der Praxis ganz pragmatisch die realen Stürme besorgen, die die Anlagen in ihrer 20- bis 30-jährigen Betriebszeit überdauern müssen. Mir ist aktuell kein Ereignis bekannt, bei dem ein Taifun oder Hurrikan einen Windpark kritisch beschädigt hat. Wie bei allen technischen Systemen kommt es sporadisch zu Ereignissen, die jedoch nichts mit grundsätzlichen Designfehlern zu tun haben. Die Gründe für die seltenen Havarien von Windturbinen lassen sich bei jedem Vorfall gut erklären und geben keinen Anlass zu Beunruhigung. Hersteller und Prüfer machen da einen guten Job.
Wie realistisch ist die Gefahr, durch ein Mehr an Windenergie einem flächendeckenden Stromausfall, dem Blackout, anheimzufallen?
Schon als ich vor drei Jahrzehnten studiert habe, hieß es auf Konferenzen und öffentlichen Podiumsdiskussionen von den Energieversorgern und Netzbetreibern: Wenn wir 5 Prozent Windenergie haben, dann packt es das Netz nicht mehr. Jetzt produzieren wir an manchen Tagen unseren Strom zu fast 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen – und es geht gut. Allerdings sind die Netze und deren Betriebsführung immer noch zu sehr auf Großkraftwerke ausgelegt. Das müsste dringend geändert werden. Die Geschichte von der ständigen Bedrohung durch einen potenziellen Blackout durch die den Ausbau der Windenergienutzung bleibt aber eine Konstante in der Diskussion. Und sie kommt immer noch aus der gleichen Ecke wie schon vor 30 Jahren. Windturbinen und damit Windparks verhalten sich am Netz so wie es ihre Betriebssoftware es ihnen vorgibt, die technischen Vorgaben dazu kommen von den Netzbetreibern. Sich hier mit Szenarien zu beschäftigen und funktionierende Lösungen zu generieren, wäre die richtige Antwort anstatt oftmals auf dem Status-quo und eigenen Pfründen zu beharren und abzuwarten.
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