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#„Wir stehen am Scheideweg“

„Wir stehen am Scheideweg“

In den vergangenen Wochen war die Zahl der Neuinfektionen erstaunlicherweise relativ stabil. Wir hatten nur einen leichten Anstieg, ein paar Prozent pro Woche. Und das, obwohl viele Fachleute davon überzeugt waren, dass wir Anfang März mit einem starken Anstieg angesichts der Variante B.1.1.7 zu rechnen haben. Nun haben wir seit einigen Tagen wieder einen deutlichen Anstieg der Infektionszahlen. Ist das die dritte Welle, von der so oft geredet wurde in den vergangenen Wochen?

Sibylle Anderl

Nun, die Welle im Herbst hat sich langsam angekündigt, und diese Welle kündigt sich auch sehr langsam an. In gewisser Weise würde ich sagen: Das ist in beiden Situationen wirklich eine schwierige und fast die schlechtestmögliche Situation. Man sieht, dass die Fallzahlen langsam steigen. Es gibt wenig Geduld, gerade angesichts der großen Pandemiemüdigkeit, Öffnungen zu verschieben. Genauso wie im letzten Herbst. Auch da wollte man nicht schließen. Das Problem ist, dass wir ja trotzdem noch mit dem Virus konfrontiert sind und dass wir die Ausbreitung von B.1.1.7 nur verlangsamt haben. Dieser langsame Anstieg ist ein Problem, weil bei einem langsamen Anstieg kein Alarmsignal klingelt und wir trotz der hohen und weiter steigenden Fallzahlen die Grenzwerte hochsetzen und weiter lockern. Dieser Anstieg wird uns echt Schwierigkeiten machen.

Wie ist Ihre Prognose für die kommenden Wochen und Monate?

Die kurze Antwort ist, es wird noch einige Monate dauern, bis alle ein Impfangebot haben. Bis dahin können die Intensivstationen immer noch zügig voll werden. Nehmen wir zum Beispiel die Altersgruppe vierzig bis sechzig. In der Altersgruppe ist die Wahrscheinlichkeit, an den Folgen von Covid-19 zu versterben, relativ gering. Sie liegt bei etwa 0,1 bis 0,2 Prozent. Aber diese Altersgruppe ist eben auch sehr groß. Das heißt, die Anzahl von Menschen, die dort insgesamt infolge einer Infektion intensivpflichtig werden könnten, ist entsprechend groß. Die Intensivstationen könnten also noch über Monate gefüllt sein, und zwar mit den Menschen, die bis dato kein Impfangebot hatten. Das heißt, eine neue Welle träfe also vor allen Dingen die Jüngeren. Wenn wir uns die Dynamik anschauen, dann sehe ich drei Kernprobleme, die zusammenkommen. Das eine ist die Lockerung, das zweite ist B.1.1.7, und das dritte ist der Punkt, den wir wissenschaftlich schon im letzten Spätsommer beschrieben haben: Wenn die Gesundheitsämter nicht mehr mit einer Kontaktnachverfolgung hinterherkommen, so wie im letzten Herbst, dann fangen die Fallzahlen an, noch stärker zu steigen als vorher. Es kommt zu einer selbstverstärkenden Ausbreitung.

Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen wurde kürzlich mit dem Communitas-Preis der MPG ausgezeichnet.


Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen wurde kürzlich mit dem Communitas-Preis der MPG ausgezeichnet.
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Bild: Horst Ziegenfusz

Woran liegt das?

Das liegt daran, dass die Personen, die gar nicht wissen, dass sie infiziert sind, ganz besonders viel zur Ausbreitung beitragen. Diejenigen, die isoliert sind oder in Quarantäne sind, die sind ja nicht das Problem. Diejenigen, die nicht erkannt sind, sind das Problem. Die Gesundheitsämter müssen also schneller sein als das Virus. Die Dunkelziffer muss niedrig bleiben, denn die Dunkelziffer trägt das Virus. Manche denken nun, wir akzeptieren jetzt halt einfach höhere Fallzahlen und bekommen dafür in irgendeiner Form mehr Freiheit. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Niedrige Fallzahlen haben nur Vorteile. Je weniger Fälle wir haben, desto besser können die Gesundheitsämter die Infektionsketten nachverfolgen, und desto mehr Freiheiten hat jeder Einzelne von uns. Wenn wir jetzt also wieder einen Anstieg in Kauf nehmen, dann verspielen wir diesen Vorteil niedriger Fallzahlen, die wir über den Winter erkauft haben, ohne dass wir davon irgendeinen Vorteil in Sachen Freiheiten hätten – oder jedenfalls nur einen sehr kurzfristigen. Die Modelle, die wir haben, scheinen ganz klar und sehr logisch: Die möglichen Öffnungsschritte, die hängen fast komplett vom Impffortschritt ab. Wir stehen also am Scheideweg. Wir können jetzt entscheiden, öffnen wir schneller, als der Impffortschritt es eigentlich erlaubt, dann steigen die Fallzahlen. Es ist dann nur eine Frage von Wochen, bis die Intensivstationen wieder voll sind. Alternativ können wir sagen, wir entschließen uns, die Fallzahlen niedrig zu halten. Auch dann erlaubt uns der Impffortschritt und auch die Saisonalität des Virus, schrittweise zu öffnen. Mit denselben Schritten, wie bei hohen Fallzahlen, oder sogar noch zügiger.

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