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#„Wir stoßen immer noch auf Widerstand“

„Wir stoßen immer noch auf Widerstand“

Kamloops steht unter Schock. Die Stadt in British Columbia, im Westen Kanadas, trauert um ihre Kinder. Bürger der 90.000-Einwohner-Stadt und Vertreter der „First Nations“ pilgern zum Gelände der früheren „Kamploops Indian Residential School“. Sie sprechen Gebete und legen Blumen, Teddybären sowie Kinderschuhe und Mokassins nieder. Die Vergangenheit hat Kanada wieder einmal eingeholt. Obwohl man doch glaubte, längst weiter zu sein.

Majid Sattar

Politischer Korrespondent für Nordamerika mit Sitz in Washington.

Vor einer Woche teilte Chief Rosanne Casimir von den Tk’emlups te Secwepemc mit, dass man mit Bodenradartechnik die Überreste von 215 Kindern entdeckt habe – in der Nähe der Schule, in der zwischen 1890 und 1978 Kinder kanadischer Ureinwohner unterrichtet worden waren, das heißt zwangsbeschult wurden. Man entriss sie ihren Familien. Ihre Kultur sollten sie vergessen. Westliche Zivilisation stand auf dem Lehrplan. Vertreter der „First Nations“ recherchierten über Jahre. Das Massengrab ist inzwischen abgesperrt. Bürger haben Schleifen an den Zaun gebunden – für jede Kinderseele eine. Menschenrechts-Fachleute der Vereinten Nationen riefen Kanada auf, die genauen Todesursachen zu untersuchen.

Es sei bittere Realität, sagte Chief Casimir. Man habe so lange gekämpft, um es beweisen zu können. Viele Kinder sind nie heimgekehrt. Es gab Berichte über Unterernährung, Vernachlässigung, Grippewellen und Tuberkulose. Aber auch über Gewalt und sexuelle Gewalt. Und über Psychoterror. Es sei eine furchtbare Geschichte, fuhr Casimir fort. Die Überreste seien Jahrzehnte alt. Einige stammten von Kindern, die erst drei Jahre alt gewesen seien.

Ein  „kultureller Genozid“

In ganz Kanada gab es mehr als 130 Residential Schools; etwa 150.000 Kinder von Ureinwohnern wurden dort unterrichtet. Betreiber der Schulen waren zumeist die Kirchen. Die katholische Kirche führte 60 Prozent der Einrichtungen, deren letzte in den neunziger Jahren geschlossen wurde. 2008 setzte die Regierung in Ottawa eine Wahrheits- und Versöhnungskommission ein, welche die Geschichte der Residential Schools aufarbeiten und früheren Schülern die Gelegenheit geben sollte, ihre Erfahrungen öffentlich zu machen. Mehr als 7000 Zeugenaussagen wurden gesammelt.

Doch ging es nicht nur darum, die Geschichte zu dokumentieren. Aus der Kommission ging auch das „Missing Children“-Projekt hervor. Der Abschlussbericht, der Ende 2015 vorgelegt wurde, hielt fest, dass etwa 3200 Kinder in den Einrichtungen gestorben seien. Das „National Centre for Truth and Reconciliation“ gibt die Zahl gar mit 4100 an. Von den seinerzeit 70.000 noch lebenden Absolventen sollen mehr als 30.000 Opfer sexueller Gewalt gewesen seien. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass die Zwangseinweisungen mit dem Ziel, die Kinder dem Einfluss ihrer traditionellen Kultur zu entziehen, auf einen „kulturellen Genozid“ hinausgelaufen sei.

Kinder verlören ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Identität

Schon 2008 hatte Premierminister Stephen Harper sich im Namen des kanadischen Volkes für das System der Residential Schools entschuldigt. Während Vertreter der anglikanischen und unierten Kirchen Kanadas, die auch Internate für Ureinwohner betrieben, ebenfalls um Verzeihung baten, verweigert die katholische Kirche diesen Schritt. Zudem habe die Kirche, die als Teil einer Einigung mit Überlebenden 25 Millionen kanadische Dollar hätte zahlen sollen, nur einen Bruchteil gespendet. Auch wird geklagt, dass einzelne katholische Einrichtungen keine Akteneinsicht gewährt hätten. Andere, etwa die Jesuiten, seien kooperativ.

Premierminister Justin Trudeau, der die Aussöhnung mit der indigenen Bevölkerung zum Schwerpunkt seiner Regierung machte, hat die katholische Kirche nun scharf kritisiert: Als Katholik sei er enttäuscht über den Standpunkt, den die Kirche seit Jahren beziehe. Er erinnerte daran, dass er 2017 im Vatikan Papst Franziskus gebeten habe, in dieser Angelegenheit um Verzeihung zu bitten und Akteneinsicht zu gewähren.

„Wir stoßen immer noch auf Widerstand“, sagte Trudeau. Er sei aber zuversichtlich, dass es nicht zum Rechtsstreit komme, sondern die Kirche ein Einsehen haben werde. Dass immer noch indigene Kinder aus ihren Gemeinde entfernt und in Pflegefamilien gebracht würde, müsse aufhören. Die Kinder verlören ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Identität. Papst Franziskus sagte am Sonntag: „Mit Schmerz verfolge ich die Nachrichten aus Kanada über den erschütternden Fund der Überreste von 215 Kindern.“ Gemeinsam mit der gesamten katholischen Kirche wolle er „dem kanadischen Volk, das durch diese schockierende Nachricht traumatisiert ist“, nahe sein. Staatliche und kirchliche Stellen sollten weiter entschlossen zusammenarbeiten, „um Licht in diese traurige Angelegenheit zu bringen“.

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