Nachrichten

#Wissen die Politiker, wo das echte Leben spielt?

Wissen die Politiker, wo das echte Leben spielt?

Wahlkampf ist die Zeit, in der Berlin-Mitte auf Perleberg-Lübzow trifft, also Hauptstadt auf Provinz. Politiker bereisen in ihrem Wahlkampf das ganze Land. Im noch so kleinsten Flecken hängt am Laternenmast das Plakat des örtlichen Kandidaten, der gewählt werden und damit ins große Berlin will. Heimatverbundenheit und Bodenständigkeit werden im Wahlkampf in der Regel dadurch dokumentiert, dass die Politikerin oder der Politiker bei einem Schützenfest oder Ähnlichem herzhaft in eine Bratwurst beißt – entsprechende Fotos gibt es derzeit von sehr vielen Politikerin, auch vom SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Die SPD gewann ja einst sogar eine Wahl mit der Wurst – der Slogan „Currywurst ist SPD“ brachte Hannelore Kraft 2012 entscheidende Meter auf dem Weg in die Düsseldorfer Staatskanzlei.

Mona Jaeger

Stellvertretende verantwortliche Redakteurin für Nachrichten.

Wer Chef oder Chefin von Deutschland werden will, muss vorher die lokale Ochsentour machen. So wollen es die Wähler. Und ohne Zweifel wird eine Wahl auch auf dem Land entschieden: Jeder zweite Bürger dieses Landes lebt in einer Stadt, die zwischen 5000 und 50.000 Einwohnern hat.

F.A.Z. Machtfrage – Der Newsletter zur Bundestagswahl

jeden Dienstag

ANMELDEN

Deutschland ist ein kommunales, kleinstädtisches, föderales Land. Das wird von höchster politischer Stelle oft gepriesen, gerät dann aber schnell in Vergessenheit, wenn der Wahlkampf vorbei und die dunkle Limousine aus Perleberg gerauscht ist. Deswegen die Frage: Wissen die Politiker eigentlich noch, wo das echte Leben spielt?

Der Vorwurf, Politiker kümmerten sich nur um Großstadtthemen, ums Gendern, vegane Ernährung und Fahrradwege, ist beliebt und oft wohlfeil. Denn die allermeisten Politiker kommen ja auch aus den Orten, die 5000 oder 50.000 Einwohner haben. Unter Abgeordneten gibt es zwei Klassen: Diejenigen, die ihren Wahlkreis direkt gewonnen haben, sind die kleinen Könige. Und dann gibt es eben noch die anderen. Und einen Wahlkreis gewinnt man nur, wenn man viel vor Ort ist, sich zeigt, beim Vereinsfest nicht nur zehn Minuten bleibt. Das bekommen die Bürger schon mit. Wer sich nicht kümmert, wird bald ersetzt.

Noch alles friedlich hier? Oberschwaben


Noch alles friedlich hier? Oberschwaben
:


Bild: Rüdiger Soldt

Natürlich verändert sich der politische Blick aufs Land, wenn man viel Zeit unter der Berliner Reichstagskuppel verbringt. Auch Bürger und örtliche Verantwortungsträger wissen womöglich gar nicht zu schätzen, dass die Musik nicht nur in Berlin spielt. Welche Aufgabe ein Landrat hat, wurde erst kürzlich auf tragische Weise bei der Flutkatastrophe an der Ahr wieder klar. Er ist der erste und oberste Krisenmanager vor Ort. Damit trägt er eine enorme Verantwortung. Oder in der Corona-Krise: Landräte und Verantwortliche vor Ort hielten die Gesundheitsversorgung aufrecht. Stephan Pusch, der Landrat des arg gebeutelten Kreises Heinsberg, verbreitete über Social Media Aufmunterungsbotschaften an die Bürger. Es wirkte.

Lokalpolitikern wird oft viel zu wenig Wertschätzung entgegengebracht. Es ist leicht, frustrierte ehrenamtliche Bürgermeister zu finden, die einem ihr Leid klagen. Eine magere Aufwandsentschädigung, aber wütende Bauern und ausufernde Vorschriften von Land und Bund. Nicht wenige Lokalpolitiker werden sogar verbal und handfest bedroht und angegriffen.

Guter Hände Arbeit: Landwirt begutachtet seine Ernte in der Region Oldenburger Münsterland


Guter Hände Arbeit: Landwirt begutachtet seine Ernte in der Region Oldenburger Münsterland
:


Bild: Patrick Slesiona

Wie sieht es denn aus, das Leben jenseits der Großstädte? Sehr unterschiedlich, das kann man sicher sagen. Und ist das überhaupt ein „echteres“ Leben als das in den Großstädten? Klischees gibt es hier wie dort. Man muss eben genau hinschauen. Zwei Beispiele. Meine Kollegen Timo Steppat, Daniel Blum und Kathrin Jakob waren für die F.A.Z.-Podcastreihe zur Bundestagswahl in der Region zwischen Cloppenburg und Vechta unterwegs. Die Region ist landwirtschaftlich geprägt, viele Bürger sind katholisch, die Zahl der Kirchenaustritte so gering wie sonst nirgends. Die CDU ist hier noch bärenstark. Von den Grünen halten sie hier nicht so viel.

Sie kommt von hier! Wahlplakat von Manuela Schwesig, die in Mecklenburg-Vorpommern Ministerpräsidentin bleiben will


Sie kommt von hier! Wahlplakat von Manuela Schwesig, die in Mecklenburg-Vorpommern Ministerpräsidentin bleiben will
:


Bild: ZB

Im Oldenburger Münsterland, wie die Region heißt, ist eine Region der „Nackensteakesser“. Vergangenes Jahr sagte der Unions-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus, dass genau diese „Nackensteakesser“, also die vermeintlich normalen Leute, das Rückgrat unserer Gesellschaft seien. Brinkhaus antwortete damit seinem Parteikollegen Ole von Beust, mal Erster Bürgermeister von Hamburg. Der hatte kurz zuvor gesagt: „Die CDU gilt immer noch als die Partei des Verbrennungsmotors, des Schweinenackensteaks und des Arbeitens bis zum Umfallen.“ Von Beust wollte die CDU einst moderner, großstädtischer und grüner machen. Brinkhaus hielt dagegen, er will offensichtlich die Stammklientel der CDU nicht verprellen.

Diese Frage stellt sich ja vielen Parteien: Wie modern, wie traditionell sollte man sein? Ist das Leben auf dem Land rückständig und leben uns die Städte die Zukunft vor? Nein, natürlich nicht. Deswegen hier das zweite Beispiel: Unser Baden-Württemberg-Korrespondent Rüdiger Soldt war vor einiger Zeit in Oberschwaben unterwegs. Die Region war einst fest in CDU-Hand. Aber die örtlichen Politiker haben übersehen (wollen), dass sich etwas ändert. Viele Bürger wollen weiterhin das Gute und Traditionelle bewahren. Aber sie sehen das bisweilen besser in den Händen der Grünen aufgehoben. Die Grünen schlugen Wurzeln.

Es hat schon einmal geklappt: Wahlplakat der SPD-NRW von 2012.


Es hat schon einmal geklappt: Wahlplakat der SPD-NRW von 2012.
:


Bild: dpa

Der Politikberater Daniel Dettling beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen von lokaler und globaler Ebene. Er sagt, das Lokale habe in der Corona-Krise an Kraft gewonnen. Daher gehöre die Zukunft dem „inklusiven Lokalismus“. Regionen, die lange vom technologischen Fortschritt und der Globalisierung abgeschnitten schienen, entdecken neue Kompetenzen. Dettling plädiert dafür, dass man globale Fragen größer, lokale Fragen aber noch lokaler denken solle. Dann würde auch die Zustimmung der Bevölkerung zu politischen Entscheidungen steigen. Denn die haben grundsätzlich schon großes Vertrauen in ihre Bürgermeister und Lokalpolitiker.

Eigentlich ein schönes Thema für die nächste Bundesregierung. Da frage ich mich: Was macht eigentlich das Heimatschutzministerium von Horst Seehofer?

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!