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#Wo die Ruinen einen Babysitter haben

„Wo die Ruinen einen Babysitter haben“

„New Orleans East ist abgeschnitten, ein Punkt jenseits, eine Leerstelle auf jemandes innerer Landkarte.“ So beschreibt die Autorin Sarah M. Broom ihre Heimat. Dieses östliche New Orleans ist fünfzig mal größer als das weltberühmte French Quarter, doch Broom erschließt mit ihren Memoiren „Das Gelbe Haus“ eine Welt, die auch viele Einheimische nicht kennen. Dafür wurde sie 2019 mit dem National Book Award ausgezeichnet. Die Autorin verwebt eigene Erinnerungen mit der Geschichte ihrer afroamerikanischen Familie und mit einer historisch-politischen Vermessung der Stadt. Dabei gibt es ein Vor und ein Nach dem Hurrikan Katrina von 2005, der in Brooms Familie „the Water“ heißt, das großgeschriebene Wasser, das so vieles mit sich davontrug.

Das Haus, das dem Buch seinen Titel gibt, wird über die Generationen zu einer windschiefen, notdürftig zusammengehaltenen Zuflucht. Die Mutter, Ivory Mae, kauft es 1961 mit Geld aus der Lebensversicherung ihres Mannes, der tödlich verunglückte, als sie gerade mit ihrem dritten Kind schwanger war. Für die Autorin und ihre Geschwister ist es ein schwieriges Zuhause, für das sich die Familie schämt. Freunde laden sie nicht in ihr Haus ein, weshalb sie in der Nachbarschaft ein wenig außen vor bleiben. Im Rückblick bis vor ihre eigene Geburt zeichnet Broom das Bild einer Familie, die der ererbten Armut immer wieder ein wenig Stabilität abringen kann – sie selbst ist erfolgreich damit, aber nicht alle ihre elf Geschwister und Halbgeschwister schaffen es.

Von den Fluten eingeschlossen

Katrina war für Broom und Millionen andere Menschen ein schwerer Einschnitt. Der Hurrikan wird nicht ohne Grund ein „schwarzes Ground Zero“ genannt. Bei der Katastrophe starben im August 2005 1836 Menschen, im Süden der USA verloren Hunderttausende ihr Zuhause. Der Sturm verursachte 125 Milliarden Dollar Schaden. Sein Name steht bis heute für die Vernachlässigung der armen Stadtteile bei der Katastrophenhilfe und die anschließende Bevölkerungsveränderung. Mehrere Untersuchungen kamen später zu dem Ergebnis, dass auch die Behörden für das Versagen der Flutbefestigungen Verantwortung tragen.

Sarah M. Broom: „Das gelbe Haus“. Leben und Überleben einer Familie in New Orleans.


Sarah M. Broom: „Das gelbe Haus“. Leben und Überleben einer Familie in New Orleans.
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Bild: Hanser Verlag

Broom schildert, wie sich ihre Familie vor Katrina rettet – sie selbst ist in New York, kann die Katastrophe nur hilflos mitverfolgen. Ihre Geschwister und ihre Mutter sind nicht zusammen, wo die Großmutter ist, können sie erst Tage später herausfinden. Jedem Familienmitglied widmet die Autorin einen Abschnitt. Ihr Bruder Carl harrt zu lange auf dem Dach aus und wird von den Fluten eingeschlossen. Erst Tage später gelingt ihm mit einem Boot die Flucht. Die Szenen der Gewalt, als Polizisten Menschen niederknüppelten, statt ihnen zu helfen, als bewaffnete Männer Läden plünderten und manche Polizisten es ihnen nachtaten, all das ist heute fast vergessen, aber nicht für Familien wie die von Broom.

New Orleans blieb auch nach Katrina eine überwiegend von Schwarzen bewohnte Stadt – nicht immer erkennbar für die Touristen, die sich jeden Tag zu Zehntausenden durch die Innenstadtbezirke treiben lassen. Und viele Menschen kehrten nicht von der Flucht vor dem Sturm zurück. Im Jahr 2000, fünf Jahre vor Katrina, waren siebenundsechzig Prozent der Menschen in New Orleans schwarz, heute sind es noch rund sechzig Prozent. Auch aus Brooms Familie, die in der Stadt tief verwurzelt war, blieben manche dauerhaft weg.

„Uns gehört, was zu uns gehört“

Broom versucht zeitweise, möglichst viel Distanz zwischen sich und New Orleans zu bringen. Sie studiert in Kalifornien und Texas, arbeitet als Journalistin in New York. Bei einem Abendessen trifft sie auf Samantha Power, die später Botschafterin bei den Vereinten Nationen wird. Power empfiehlt Broom, in Afrika bei der Qualifikation von Journalisten zu helfen – in Burundi soll sie bald darauf eine Radiostation mitaufbauen. Dort ist die Autorin fremd wie andere „Expats“ auch, einmal bezeichnet sie jemand sogar als „weiß“. In der ungewohnten Umgebung setzt sich Broom wieder mit der Heimat und dem Schmerz nach dem Hurrikan auseinander.

Zurück in Amerika nimmt sie einen Job in der Presseabteilung des Bürgermeisters von New Orleans an, doch sie gibt ihn schon nach einem halben Jahr wieder auf. Später zieht Broom ausgerechnet ins French Quarter, um die Stadt aus einer anderen Perspektive zu sehen und eine Sprache zu finden für ihre Verwurzelung und Entwurzelung. Das gelbe Haus gibt es da schon längst nicht mehr. Wie so viele andere riss die Stadt es nach der Flut ab. Doch Bruder Carl hütet noch immer den Garten und mäht ab und zu den Rasen, er „babysittet die Ruinen“, wie sie schreibt. „Ich hatte kein Zuhause“, notiert Broom. Nie habe sie dieses Haus als das ihre reklamieren wollen, doch nun sei ihr klar: „Uns gehört, was zu uns gehört, ob wir es wollen oder nicht.“

Die Autorin beschreibt all das in einer manchmal sachlichen, manchmal emotionalen Sprache. Es gelingt ihr, die wenig gesehenen Teile der Stadt New Orleans lebendig zu machen und das eindimensionale Image als Frühlingspartyziel vor historischer Kulisse zu brechen. Indem sie ihre Erinnerungen mit historischen Recherchen verwebt, erzählt sie auch eine Geschichte über die vielfältigen Herausforderungen, vor denen afroamerikanische Familien stehen. Die über Generationen vererbte Armut, das An-den-Rand-gedrängt-Sein durch rassistische Stadtplanungs- und Wohnungspolitik, auch die Ausweglosigkeit für Menschen, die einmal in den Fängen des Justizsystems landen – die vielfältigen Dimensionen strukturellen Rassismus werden konkret begreifbar. Broom selbst ist ein Beispiel dafür, wie durch Bildung zumindest der ökonomische Aufstieg gelingen kann. Und wie viel Glück und Zufall dafür im heutigen Amerika immer noch nötig ist.

Sarah M. Broom: „Das gelbe Haus“. Leben und Überleben einer Familie in New Orleans. Aus dem Englischen von Tanja Handels. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2022. 432 S., geb., 26,– €.

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