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#Wo die Wiedervereinigung hinfällt

Wo die Wiedervereinigung hinfällt

Es ist Sommer 1990 in Ost- und West-Berlin. Geschichte wird geschrieben in diesem „Sommer der Anarchie“. Die Mauer ist gefallen, der ehemalige Todesstreifen sandbedeckt, lichtdurchflirrt, ist verlassen und wird zum Rückzugsort einer ersten Liebe. Wenige Wochen nur liegen zwischen der Unterzeichnung des ersten Staatsvertrags und der Währungsunion.

Während Helmut Kohl im Bundestag verkündet, auch der Westen müsse Opfer bringen („Ein Volk, dass dazu nicht bereit wäre, hätte seine moralische Kraft längst verloren“) und dem Osten eine gute Zukunft verspricht („Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser“) hält der West-Berliner Deutsche-Bank-Mitarbeiter Alexander (Andreas Döhler) vor seinem Elternhaus in Kleinmachnow Wache auf einem Gartenstuhl. Nun wohnen andere da. Sein Großvater wurde als Systemfeind verfolgt, vertrieben und enteignet. Der Campingwagen, mit dem Alexander das Haus belagert, ist mit Plakaten beklebt, die die Familie, die jetzt dort wohnt, enervieren. Erwin und Beatrice (Uwe Preuss und Judith Engel) hat man das Haus zugewiesen, er ist Präsident der Bauakademie. Und bietet Alexander seine gesamten Ersparnisse, um bleiben zu können. Auch für ihn ist das Haus ein Heim.

Der Sturm des Alles-oder-nichts

DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière verkündet im Fernsehen neueste Verhandlungsergebnisse: „Rückgabe vor Entschädigung“. Als bald darauf die Währungsunion in Kraft tritt, stürmen DDR-Bürger fast eine Bankfiliale. Zeithistorische Tagesschau-Bilder. Dazu der damalige Kommentar des Berichts: „Am Alex herrscht von nun an die Deutsche Bank.“

Mittendrin in den Wirren trifft zwei junge Menschen der Blitz der Gefühle wie Romeo und Julia auf dem Dorfe Kleinmachnow. Katja (Emilie Neumeister), eine selbstbewusste Sechzehnjährige mit kesser Lippe, das Mädchen aus West-Berlin. Thorben (Ludwig Simon), etwas älter, schockbegeistert. Beide sind unerfahren in der Liebe, dem Sturm des Alles-oder-nichts und ihrer Begeisterung bald ergeben.

Sie treffen sich regelmäßig „Im Niemandsland“, so der Titel des Spielfilmdebüts des Dokumentaristen Florian Aigner (Regie, Drehbuch und Schnitt), der sich hier am poetischen Realismus versucht und hier und verhebt. Seine Protagonisten finden Romantik und Unbeschwertheit, wo kurz zuvor noch Grenzsoldaten auf Freiheitssuchende schossen. Der Ort verweist auf die Unmöglichkeit des Gelingens. Die Liebesgaben haben symbolischen Gestus. Er schenkt ihr eine selbst aufgenommene Musikkassette mit Ostsongs, deutschsprachigem Punk. Sie hört Nick Kamens Gute-Laune-Pop „I promised myself“ auf dem Walkman. Das wird nichts mit beiden, sie sind zu verschieden. Höchstens, wenn ein Mix-Mix-Tape dabei herauskommt. Vor allem ist Katja die Tochter des düsteren West-Usurpators Alexander und Thorben der Sohn der die Verteidigungsstellung haltenden Erwin und Beatrice. Thorben nimmt Katja mit nach Ost-Berlin. Zum Handballtraining, zu seinen ungelenken Autofahrversuchen mit Trainer Maik (Shenja Lacher), der beiden eine glücklich vereinte Geschichte ausmalt. Aber gerade mit Maik wird es den größten Vertrauensverlust geben. Eine harsche Desillusionierung, in einem abrupt beendeten Sommermärchen. Im Westen gerät Thorben mit Katjas Freunden handgreiflich aneinander.

Stürmische Liebe trifft auf Tagesschau-Archivaufnahmen

Florian Aigners Film, gedreht im Fernsehnachrichtenformat 4:3, bildet Momente der Politik im Sommer 1990 mit eingeschobenen Tagesschau-Archivaufnahmen ab und verknüpft sie mit der stürmischen Liebe eines jungen Paares, das an Umständen und Einstellungen scheitert – die deutsche Wiedervereinigung als Coming-of-Age-Story. Manchmal wirkt das überkonstruiert und verkopft, manchmal plausibel und erhellend, meistens aber schwer gewollt. Im Westen hängt der Haussegen schief, ohne dass der Parade-Vertreter des Kapitalismus (Bankmann Alexander) davon ahnt. Seine Frau (Lisa Hagmeister), Katjas Mutter, schläft mit dem Nachbarn (Karsten Antonio Mielke) und vernachlässigt den kleinen Nils (Alois Gwinner), weil ihr Mann fanatisch an der Familiengeschichte klebt. Thorbens Mutter Beatrice wird entlassen, weil ihr VEB mit dem Geld der Westbank privatisiert wurde.

Aigner lässt die Liebesgeschichte zart und überzeugend beginnen (Kamera Armin Dierolf). Szenen- und Kostümbild (Stefan Rohde und Andy Besuch) sind gelungen. In der Krise aber, als die Eltern mit ihren Problemen den zarten Keim ihrer Liebe zerstören, sprechen das Mädchen aus dem Westen und der Junge aus dem Osten plötzlich nur mehr in Mentalitäts-Vorurteilen. Im letzten Drittel verliert „Im Niemandsland“ seine Überzeugungskraft. Die jungen Schauspieler freilich machen hier und da aus gemeinplatzartigen Szenen noch starke Momente. Neumeister und Simon, auch Michelangelo Fortuzzi in einer Nebenrolle, stehlen Döhler, Preuss, Hagmeister und Engel, die für jeden Film ein Gewinn sind, hier die Show. Mit ein paar beherzteren Schnitten, mit weniger explizit ausgespielten Parallelen, wäre „Im Niemandsland“ bis zum Ende stimmungsvoll geblieben. Als liebesmutig erzähltes Erstlingswerk, das sich traut, die Wiedervereinigung als gescheiterte Beziehung romantisch in den Blick zu nehmen, ist der Film in der Qualitätsreihe „Debüt im Ersten“ trotz Schwächen richtig platziert.

Im Niemandsland läuft heute um 20.15 Uhr bei Arte.

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