Wo Wadephul sich von Baerbock absetzt

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Johann Wadephul hat die Kippa aufgesetzt. Deutschlands neuer Außenminister besucht die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, er hat sich in einer neuen Sammlung Artefakte angesehen, die Geschichten erzählen von Überlebenden und den vielen ermordeten Juden. Ein Gürtel, ein Babyschuh, eine Puppe. Nun steht er in der „Halle der Erinnerung“, die Namen der deutschen Konzentrationslager auf dem Steinboden.
Das Ritual ist festgeschrieben: Wadephul dreht die ewige Flamme ein wenig weiter auf, legt einen Kranz nieder und einen Stein auf die Platte, unter der die Asche von Opfern begraben liegt. Er verharrt und geht dann weiter, um sich ins Gästebuch einzutragen. Ruhig schreibt er den vorbereiteten Text mit einem Füller nieder, es dauert eine Weile, schließlich trägt er ihn vor: „Mit Entsetzen und mit Scham stehe ich hier als Außenminister Deutschlands“, beginnt Wadephul. Anschließend geht er mit Israels Außenminister Gideon Saar zur Autokolonne und sagt leise zu ihm: „Kein leichter Moment.“

Der erste Besuch des neuen Außenministers in Israel ist mit Spannung erwartet worden. Schließlich hatte sich seine CDU stets für eine noch konsequentere Unterstützung Israels ausgesprochen, als man es unter der vorherigen Bundesregierung erlebt hatte. Bis hin zu Merz’ Zusicherung, dass Netanjahu trotz Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ohne Sorge nach Deutschland reisen könne. Aber wie groß wird diese Akzentverschiebung tatsächlich ausfallen, da Friedrich Merz es ins Kanzleramt und Wadephul es ins Auswärtige Amt geschafft hat? Die Reise wird zeigen, dass es in manchen Fragen durchaus einen anderen Tonfall gibt. Die grundlegende Linie aber bleibt gleich.
Israel ist Wadephul wichtig
Gerade stehen große deutsch-israelische Tage an. An diesem Montag ist es 60 Jahre her, dass Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen aufgenommen haben, 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den Verbrechen von Nazideutschland. Am Sonntag ist Israels Präsident Izchak Herzog nach Deutschland gereist, um am Dienstag gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zurück nach Israel zu fliegen. Wadephul sagt vor dem Abflug, die Beziehungen zwischen beiden Ländern seien ein „kostbares, niemals selbstverständliches Geschenk“. Schon dass er nach den Besuchen in Paris und Warschau und in der Ukraine gleich in der ersten Woche im Amt nach Israel gereist ist, zeigt, wie wichtig ihm das Thema ist – früh hat er das mit Merz abgestimmt.
Aber Wadephul ist nicht wegen der Geschichte hier. Er hatte vor der Reise angegeben, er wolle vor allem Fragen zur Situation im Gazastreifen und zu Israels „strategischem Ziel“ dort stellen. Das macht deutlich, dass es auch in der neuen Bundesregierung Fragen an die israelische Regierung zu deren Vorgehen gibt. Auch Äußerungen von Merz gleich nach seiner Kanzlerwahl klangen nicht mehr nach einer bedingungslosen Solidarität: „Israel macht uns allergrößte Sorgen“, sagte er am Dienstagabend.
Israel habe das Recht, sich zu verteidigen gegen den brutalen Angriff der Hamas-Terroristen, aber es müsse „auch ein Land bleiben, das den humanitären Verpflichtungen gerecht wird“ und Völkerrecht einhalte. Auch als Merz am Donnerstagabend mit Netanjahu telefonierte, habe er, so sagte es sein Sprecher, seine Besorgnis über das Schicksal der Geiseln und die humanitäre Not in Gaza mitgeteilt. Merz habe seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, „dass bald Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gang kommen“.
Die Hamas setzt ihr Druckmittel ein: die Geiseln
Die Gespräche darüber verlaufen seit Wochen ergebnislos. Zu weit liegen die Positionen beider Seiten auseinander: Israel will die Hamas nach eigenen Angaben gänzlich besiegen, fordert zumindest ihre Entwaffnung. Die Hamas verlangt eine Garantie, dass der Krieg für mehrere Jahre endet, und lehnt es ab, die Waffen abzulegen. Für diesen grundsätzlichen Konflikt haben die Vermittler nie eine Lösung gefunden; auch das Abkommen vom Januar hatte ihn nur aufgeschoben.
Um Israel zu einer Veränderung seiner Position zu bewegen, setzt die Hamas immer wieder ihr wichtigstes Druckmittel ein: die Geiseln. Am Samstag veröffentlichte sie ein weiteres quälendes Video – mutmaßlich mit einer erzwungenen Inszenierung. Zwei Männer sind in dem mehr als drei Minuten langen Video zu sehen. Elkana Bohbot liegt regungslos auf dem Boden. Neben ihm sitzt Yosef-Haim Ohana und sagt, Bohbot sei körperlich und geistig schwer angeschlagen, er habe versucht, sich selbst zu verletzen. Wenn Israel nicht bald einer Waffenruhe zustimme, würden sie sterben, sagt Ohana aufgebracht. Er richtet sich an die Luftwaffenpiloten und fragt, ob sie wüssten, dass ihre Angriffe die Geiseln gefährdeten. Auch zahlreiche Angehörige der am 7. Oktober 2023 Verschleppten forderten die israelische Regierung auf Kundgebungen am Wochenende wieder auf, den Krieg zu beenden.
Netanjahu und seine Minister kündigen aber ein ums andere Mal an, sie würden die Kampfhandlungen sogar intensivieren. Auch am Sonntag gibt es im Gazastreifen neue Luftangriffe. Die dortigen, teils von der Hamas kontrollierten Behörden melden am Mittag 13 Tote, überwiegend Frauen und Kinder. Die humanitäre Krise aufgrund der kompletten israelischen Blockade wird nach Aussagen von Hilfsorganisationen immer kritischer. Praktisch täglich gibt es neue Berichte über Versorgungsausfälle. Am Samstag teilte das Hilfswerk UNRWA mit, aufgrund fehlender Mittel die Zusammenarbeit mit Organisationen einzustellen, die schwangere Frauen und Neugeborene unterstützen. Etwa 50.000 Schwangere seien dadurch gefährdet, heißt es.
Ein anderer Ton als Baerbock
Zum ersten Mal hat Wadephul am Samstagabend Gelegenheit, seine Fragen zu all diesen Themen zu stellen: Da spricht er nicht nur mit Außenminister Saar, sondern auch mit Angehörigen von Geiseln. Es sei kein Zufall, dass dies sein erster Termin in Israel sei, sagt er zu ihnen, als er in den Hotelraum kommt. Die Befreiung der Geiseln habe auch für die Bundesregierung Priorität. Das wiederholt Wadephul am Sonntag auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Saar. Dort merkt er mit Blick auf die verstärkten Angriffe im Gazastreifen auch an, dass er sich nicht sicher sei, „ob so alle strategischen Ziele Israels erreicht werden können, ob das langfristig der Sicherheit Israels dient“. Er plädiere für Verhandlungen über einen Waffenstillstand.
Das hätte so ähnlich auch seine Vorgängerin Annalena Baerbock sagen können. Sie hatte wegen der humanitären Not im Gazastreifen einen zunehmend mahnenden Ton angeschlagen. Allerdings führte das auf israelischer Seite eher zu Irritationen als erkennbarer Einsicht, und am Ende schien für sie nicht mehr viel zu erreichen in Jerusalem. Zugleich reichten diese kritischeren Töne nicht aus, den Vorwurf aus anderen Ländern der Region zu entkräften, dass Berlin Israel zu einseitig unterstütze. Ausdruck dieses versuchten Balanceakts waren mehrere deutsche Enthaltungen bei israelkritischen UN-Resolutionen und offenbar Verzögerungen bei der Genehmigung von Rüstungsexporten nach Israel. Die CDU hatte damals beides kritisiert.
Bei diesem Punkt, der humanitären Lage in Gaza, schlägt Wadephul auch jetzt, als Außenminister, einen anderen Ton als Baerbock an. Er begrüßt Saars Ankündigung, dass Israel einen neuen amerikanischen Plan zur Versorgung der Menschen dort befürworte. Dieser Plan, der die Verteilung von Hilfsgütern durch private Firmen in einem abgegrenzten Gebiet im Süden des Gebiets vorsieht, ist hoch umstritten. Die Vereinten Nationen haben ihn als unzulänglich zurückgewiesen. Wadephul spricht indessen von einer „positiven neuen Entwicklung“, die man prüfe und gerne unterstütze. Vielleicht seien noch „Zwischenschritte“ nötig, damit die Hilfe möglichst schnell bei den Menschen ankomme, gibt Wadephul zu bedenken – hebt aber hervor: Indem die israelische Regierung diesen Schritt gehe, „ist auch vollkommen klar, dass man ihr ein völkerrechtswidriges Verhalten nicht vorwerfen kann“.
Am Nachmittag ist eine Stunde geblockt für ein Gespräch mit Netanjahu. Ein Problem will man in der Bundesregierung nicht darin sehen, einen Politiker zu treffen, gegen den es einen Haftbefehl des IStGH gibt. Auch Steinmeier soll Netanjahu in dieser Woche treffen. Eine Einladung nach Deutschland hat Wadephul aber nicht dabei, das ist auch nicht seine Aufgabe. Erwartet wird in Berlin eher, dass der Kanzler bald selbst nach Israel reist. Anschließend fährt Wadephul noch nach Ramallah, um mit Mohammad Mustafa zu sprechen, dem Ministerpräsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Den Abstecher ins Westjordanland haben alle deutschen Außenminister bei ihrem ersten Besuch im Nahen Osten gemacht, seit es die PA gibt.
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