#Woher soll das EU-Geld für die Ukraine kommen?
Inhaltsverzeichnis
Anfang des Jahres wollte die EU Zinserträge aus dem eingefrorenen russischen Zentralbankvermögen für die Finanzierung der Ukraine-Hilfe verwenden. Nun rudert sie zurück. Dagegen sprechen ökonomische wie juristische Bedenken.
Valdis Dombrovskis, der für Wirtschaft zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, war in der Angelegenheit schon immer unverblümt. Wenn es keine Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme in Europa eingefrorener russischer Vermögenswerte gebe, müsse die EU eben eine schaffen, sagte der Lette im Februar der F.A.Z. Wo ein politischer Wille sei, so meinte Dombrovskis, müsse es auch einen juristischen Weg geben. Die EU wolle schließlich – ganz wörtlich – dafür sorgen, dass der russische Aggressor für die von ihm angerichtete Zerstörung in der Ukraine bezahle.
Gegen den Zugriff der Europäischen Union auf russische Vermögenswerte gab es aber schon immer juristische Bedenken. Sie lagen vor allem im Völkerrecht, genauer im Prinzip der Staatenimmunität. Es beruht auf der Unabhängigkeit und Gleichheit souveräner Staaten und bedeutet, dass es keinem Staat – und auch nicht der EU – gestattet ist, über einen anderen Staat zu Gericht zu sitzen.
Juristen geben nicht nur zu bedenken, dass die EU sich nicht über die Rechtsprinzipien hinwegsetzen könne, auf denen sie selbst aufgebaut ist. Sie warnen auch vor Präzedenzfällen. Je weniger die EU ausländische Eigentumsrechte respektiere, desto eher könnten sich andere Staaten ermuntert sehen, auf Vermögenswerte westlicher Unternehmen und, soweit vorhanden, von Zentralbanken zuzugreifen.
Beschlagnahme könnte die Rolle des Euros als Reservewährung schwächen
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich mit ähnlichen Argumenten gegen den Zugriff auf russische Zentralbankvermögen ausgesprochen. Sie sorgt sich um die Attraktivität des Euros als internationale Reservewährung, wäre doch die Beschlagnahme der russischen Reserven ebenjener Präzedenzfall. Er ließe ausländische Investoren und Zentralbanken daran zweifeln, dass eine Anlage in Euro eine gute Idee sei.
Wegen der unveränderten juristischen und ökonomischen Bedenken hat die Kommission bislang nur einige Arbeitspapiere, aber nie eine konkrete Initiative lanciert – bis jetzt. An diesem Dienstag will die Behörde einen Vorschlag mit freilich deutlich abgeschwächtem Inhalt vorlegen. Er zielt nicht mehr auf die in der EU eingefrorenen russischen Zentralbankguthaben selbst, die auf rund 200 Milliarden Euro geschätzt werden.
Es geht nur noch um die Zinsgewinne aus diesen Guthaben. Auch die politische Motivation hinter der Kommissionsinitiative hat sich deutlich geändert. Hatte die Behörde zu Beginn des Jahres geglaubt, sie könne die gesamten Guthaben für den Wiederaufbau in der Ukraine verwenden, so soll der jetzt in Rede stehende Betrag der Zinserträge von 15 bis 17 Milliarden Euro bis 2027 dazu beitragen, die laufenden Zahlungsprobleme der Ukraine zu lindern.
Die Ukraine steuert auf eine Zahlungsunfähigkeit zu
Hintergrund des neuen Kommissionsvorschlags ist der Streit der Mitgliedstaaten um eine schnelle EU-Finanzhilfe für die Ukraine, die in den ersten Monaten des kommenden Jahres auf die Zahlungsunfähigkeit zusteuert. Die Kommission hatte im Juni ein größeres, andere EU-Ausgaben einschließendes Finanzpaket von 50 Milliarden Euro zur Deckung des unmittelbaren Finanzbedarfs der Ukraine vorgeschlagen. Davon sind 17 Milliarden Euro als Zuschüsse, der Rest als Kredite vorgesehen.
Die Zahl steht weiterhin im Raum; die Staats- und Regierungschefs müssten sie auf ihrem Gipfeltreffen an diesem Donnerstag und Freitag beschließen, sind darüber aber längst nicht einig. Zum einen blockieren Ungarn und wahrscheinlich auch die Slowakei die Ukraine-Hilfe kategorisch, zum anderen wollen etliche „sparsame“ Staaten, unter ihnen auch Deutschland, nur die Ukraine-Hilfe billigen, den Rest des insgesamt 65,8 Milliarden Euro umfassenden Kommissionsvorschlags aber nicht.
Dieser Rest ist beispielsweise für eine inflationsbedingte Gehaltserhöhung für EU-Beamte vorgesehen. Mit der vorgeschlagenen Abschöpfung der Zinsgewinne versucht die Kommission, den Mitgliedstaaten eine Brücke zu bauen. Das Geld könnte die für das EU-Budget nötigen Beiträge der Staaten reduzieren. Doch viele Länder wollen sich darauf nicht einlassen, weil der Betrag nur ein Tropfen auf den heißen Stein wäre. Besonders dringlich sei der Finanzbedarf Kiews in den ersten Monaten 2024, sagt ein EU-Diplomat.
Zugriff auf einen größeren Anteil der Zinserträge hat Belgien, ganz unabhängig von den EU-Überlegungen. Denn in Brüssel hat der Finanzdienstleister Euroclear seinen Sitz. Er wickelt Wertpapiertransaktionen ab und hält große Wertpapierpakete im Auftrag von Banken und Zentralbanken. Als die Sanktionen im März in Kraft traten, lag ein Großteil des russischen Notenbankvermögens – rund 190 Milliarden Euro – auf Euroclear-Konten. Für die ersten drei Quartale hat das Unternehmen daraus Sondererträge von etwa 3 Milliarden Euro ausgewiesen. Darauf zahlt Euroclear knapp 800 Millionen Euro Steuern. Ministerpräsident Steven Vanackere hat angekündigt, sie an die Ukraine weiterleiten zu wollen. Was mit dem Rest der Zinserträge passieren könnte, ist offen.
Denn jenseits der Euroclear-Steuerzahlung bestehen die juristischen Bedenken gegen einen Zugriff auf Zinserträge fort. Das völkerrechtliche Prinzip der Staatenimmunität gelte dafür genauso wie für die Abschöpfung der Zentralbankvermögen selbst, sagte der Saarbrücker Europa- und Völkerrechtler Marc Bungenberg der F.A.Z. Während das Europarecht ein Einfrieren von Zentralbankvermögen eindeutig erlaubt, lässt sich die Abschöpfung von Zinsen durch die von der Kommission jetzt vorgeschlagene Europarechtsänderung juristisch kaum rechtfertigen.
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.