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#100 Chairs: Südtiroler Möbeldesigner Martino Gamper

Für ihn muss es nicht immer Holz sein. Doch ohne kann er eigentlich auch nicht. Darum sieht Martino Gampers Studio nicht wie ein Studio aus, sondern wie eine Schreinerei. Schreibtisch und Computer? Braucht er nicht. Jedenfalls nicht, um einen Tisch oder Stuhl zu designen. Dafür reichen ihm Hammer und Säge, Leim, Schrauben und Nägel. Und Holz. Stapelweise. Es liegt in seinem Archiv, wie er es nennt. Bretter, die ihren Dienst eigentlich längst schon getan haben und nun auf dem Gelände eines ehemaligen Bauernhofs bei Laddingford in der Grafschaft Kent darauf warten, neu entdeckt und wiederverwendet zu werden. Gamper sammelt sie, er reißt sie aus alten Häusern in England oder Südtirol heraus. Oder er zerlegt alte Möbel und macht neue daraus. Einfach so. Einmal sogar gleich hundertfach.

Damit ist Martino Gamper sogar bekannt geworden, in den Nullerjahren, kurz nachdem der gebürtige Meraner sein Studium beendet und sich in London niedergelassen hatte. Das Projekt nannte sich „100 Chairs in 100 Days“. Über zwei Jahre hinweg verwandelte er vor allem Stühle in neue Stühle. Die Stühle sammelte er im Sperrmüll zusammen, er fand sie am Straßenrand, aber auch in Wohnungen von Freunden und Bekannten, die oft froh waren, sie loszuwerden.

Stück für Stück zersägte Gamper Billigware aus dem Kaufhaus genauso wie Klassiker von Marken wie Knoll oder Thonet und von Designern wie Egon Eiermann oder Arne Jacobsen. Dann fügte er zusammen, was nicht zusammen gehört. Plastik und Metall, Samt und Holz. Sein „Musical Chair“ vom 15. Mai 2006 hat sogar eine alte Gitarre als Rückenlehne. An jeweils einem Tag entstand ein neues Objekt, auf dem man – wenn auch manchmal nur leidlich – am Ende tatsächlich wieder sitzen konnte.

Der Südtiroler Martino Gamper ist auch in seinem Londoner Studio heimatverbunden, wie man an seinem Stuhl Bella Vista sehen kann.


Der Südtiroler Martino Gamper ist auch in seinem Londoner Studio heimatverbunden, wie man an seinem Stuhl Bella Vista sehen kann.
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Bild: Daniel Stier

„Von waste zu taste“, also: Neues in Altem entdecken

Was aber passiert mit einem alten Plastikstuhl, wenn man ihn mit gelbem Samt bezieht? Wenn ein Bugholzstuhl und ein Sitzsack eine neue Einheit werden, ein Autositz plötzlich auf hölzernen Kufen steht, die selbst einmal eine Rückenlehne waren? Werden sie durch die Verwandlung bessere Stühle? Das zumindest hoffte Gamper. „Von waste zu taste“ nennt er, was er auch sonst am liebsten tut: Neues in Altem zu entdecken. Denn Altes hat Geschichte, und es erzählt Geschichten. Das Projekt kam so gut an, dass seine 100 Stühle in vielen Museen und Galerien ausgestellt wurden, von Mailand bis Wellington. Und auch ein Buch entstand daraus, das zeigt: Stühle können durchaus Humor haben.

Warum werden Designer eigentlich schon immer an ihren Stühlen gemessen? „Weil der Stuhl unter den Möbeln ein besonders komplexes Objekt ist“, sagt Gamper. „Er ist am vielfältigsten und auch am expressivsten. Und er ist unserem Körper am nächsten. Er hält uns und hebt uns vom Boden ab.“ Genau das, diese Erhöhung, sei für ihn als Designer die spannendste Aufgabe. „Meine Stühle sind zwar selten bequem, aber sie erfüllen ihren Zweck: Man kann darauf sitzen.“

Martino Gamper hat selbst einen Stuhl im Portfolio, der mit seinem Namen untrennbar verbunden ist. Er hat ihn bekannt gemacht, auch wenn es ausnahmsweise kein Stuhl aus Holz ist. Aber er hat eine Geschichte zu erzählen, die zu Gamper passt. Er entwarf ihn nämlich für Londons erstes Sozialwohnungsprojekt, das schon mehr als 130 Jahre alt ist. Bis 1890 war das Wohngebiet im Herzen von Shoreditch in East London nicht viel mehr als ein Slum, zahlreiche Einwanderer lebten dort in schrecklicher Armut. Die alten Häuser im Osten der Stadt wurden dann auch auf Initiative von Sir Arthur Arnold abgerissen; 19 neue Gebäude mit Sozialwohnungen entstanden, die im Jahr 1900 vom damaligen Noch-Thronfolger, dem späteren König Eduard VII., feierlich eröffnet wurden.

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