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#95 Jahre, was für ein Leben!

Die Nachricht, dass Peter Lilienthal gestorben ist im Alter von 95 Jahren, muss jeden, der ihm je begegnet ist, erschüttern. Zum einen, weil dieser Peter Lilienthal ein äußerst liebenswerter Mensch war, ein Mann, der, trotz seiner Erfahrung, seiner Weltläufigkeit und der Geschichte mit den Deutschen, denen er, als zwölfjähriger Junge, gerade noch rechtzeitig entkommen war, einem deutschen und sehr viel jüngeren Gesprächspartner immer das Gefühl vermitteln konnte, man sei einander ebenbürtig. 

Zum anderen kommt die Erschütterung aber daher, dass erst die Todesnachricht diesen Peter Lilienthal dem Vergessen entreißt. Die anderen Regisseurinnen und Regisseure, die mit Lilienthal den sogenannten Jungen Deutschen Film begründet haben, sind viel präsenter, als Veteranen ihrer eigenen großen Zeit. Und erst jetzt, da es zu spät ist, erkennt man, wie erkenntnisstiftend es gewesen wäre, hätte man ihn noch einmal besucht und ein großes Interview mit ihm geführt: über sein Leben als deutscher Jude, der mit seiner Mutter vor den Nazis nach Uruguay floh, in Montevideo studierte und in Südamerika gewissermaßen seine zweite Heimat fand. Und der dann in den Fünfzigern doch zurück nach Deutschland ging, um von hier aus, mit Filmen wie „Der Aufstand“ oder „Es herrscht Ruhe im Land“, auf die Frage, was aus Südamerika werden könne, immer wieder zurückkam. 

Und man hätte mit ihm darüber sprechen müssen, wie es gekommen ist, dass sich die linken Hoffnungen für Lateinamerika am wenigsten erfüllt haben. Dass aus den Befreiern schließlich Unterdrücker wurden. Und dass der ganze Kontinent politisch und ökonomisch zu stagnieren scheint. 

Machtverhältnisse in Frage stellen

Der Kameramann Michael Ballhaus, der in den frühen Sechzigern beim Südwestfunk in Baden-Baden angestellt war und dort mit dem SWF-Hausregisseur Peter Lilienthal arbeitete und sich anfreundete, hat später erzählt, dass Lilienthal ihn lehrte, zum Cinéphilen zu werden: mehrmals in der Woche ins Kino gehen, alle Filme sehen, die es bis nach Baden-Baden schaffen. Und davon lernen, was man nur lernen kann: das sei die Praxis ihrer Freundschaft gewesen. 

Wobei man, wenn man Lilienthals Filme heute wiedersieht, bald entdeckt, dass deren Ästhetik sich nicht nur aus der Filmgeschichte speist. Es gibt da immer wieder Momente einer starken Irritation, absurde Bilder, surreale Szenen, Sequenzen, die aufs Theater oder auch den Surrealismus verweisen, manchmal auch auf das, was die Literatur den Magischen Realismus nennt. Es ist, als ob Lilienthal in seinen Filmen nicht nur politische und ökonomische Macht infrage stellte. Sondern auch die narrativen Machtverhältnisse. 

Böse genug

In seiner großen Zeit war Peter Lilienthal im deutschen Kino beides: ein Außenseiter und zugleich dessen Gegenteil. Er war fast zwanzig Jahre älter als Wenders, Fassbinder, Achternbusch, er hatte einen weiteren Horizont und einen größeren Resonanzraum. Und als Jude schien er für die Ambition, den Wilden Westen in der deutschen Seele zu suchen, nicht empfänglich zu sein. Und trat trotzdem, zum Beispiel, in Wenders‘ „Amerikanischem Freund“ als Schauspieler auf. 

Und zugleich war Lilienthal ein einflussreicher Mann. Er lehrte an der Berliner Filmhochschule genau zu der Zeit, als dort alle Studenten politische Filme machen wollten. Er gewann für „David“, die Geschichte eines jüdischen Jungen, der es gerade noch schafft, den Nationalsozialisten zu entkommen, den Goldenen Bären der Berlinale 1979. Der Rabbi Singer, Davids Vater, ist womöglich die Person, die Peter Lilienthal am nächsten war: ein stolzer Mann, der einfach nicht glauben will, dass der Mob und die Schläger jenes Deutschland repräsentieren, zu dem er selbst doch auch zu gehören glaubt. 

Einmal, so hat das später Michael Ballhaus erzählt, wäre Lilienthal fast gescheitert. Er wollte einen kleinen Film in und über New York drehen, „Dear Mr. Wonderful“ sollte der heißen, er hatte das Drehbuch an Joe Pesci geschickt, der damals, nach „Raging Bull“, schon weltberühmt war, und Pesci hatte zugesagt, die Hauptrolle, einen kleinen Barbesitzer mit großen Träumen, zu spielen. Aber als die Produktion für ein paar Drehtage nach New Jersey umzog,  seien ein paar Männer in glänzenden Anzügen mit Ausbeulungen an den richtigen Stellen am Drehort gestanden und hätten erzählt, dass das Team hier nicht drehen dürfe. Beziehungsweise nur unter Bedingungen, die sich die Produktion aber nicht leisten konnte.

Es sei Joe Pesci gewesen, der den Männern versicherte, dass er Freunde habe, die noch viel gefährlicher seien. Womit der Film gerettet war. Zum Abschluss habe Pesci ein Essen gegeben, und Lilienthal, eingeklemmt zwischen Pescis Freunden, habe erkannt, dass er sich hier in einem Genre wiederfand, in dem er keinerlei Erfahrung hatte. 

Lilienthal hat auch danach keine Gangsterfilme gedreht. Ihm waren die Machtverhältnisse, zumal in Lateinamerika, spannend und die Mächtigen böse genug.

Geboren 1927 in Berlin, gestorben am Freitag in München. 95 Jahre, was für ein Leben. Es ist höchste Zeit, sich wieder an Peter Lilienthal zu erinnern.

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