99,999 Prozent des Tiefseebodens noch nicht erkundet

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In der Tiefsee leben einige kuriose Kreaturen, von denen uns die meisten noch unbekannt sein dürften. Denn der Mensch hat in den vergangenen 70 Jahren weniger als 0,001 Prozent des globalen Tiefseebodens direkt beobachtet, zeigt eine aktuelle Studie. Die bisher durch Tauchgänge erkundete Fläche entspricht nur etwa einem Zehntel der Größe Belgiens. Sie umfasst vor allem Gebiete, die innerhalb von 200 Seemeilen um die Vereinigten Staaten, Japan und Neuseeland liegen. Der Rest des Meeresbodens ist unseren Augen bisher verborgen geblieben. Wie ließe sich das ändern und warum ist die Erforschung der Tiefsee wichtig?
Der Klimawandel wirkt sich stark auf die Ozeane aus. Die globale Erwärmung führt zu höheren Temperaturen und einer Versauerung an der Meeresoberfläche und in flacheren Gewässern, was erhebliche Auswirkungen auf die dort lebenden Organismen und Ökosysteme hat. Welchen Einfluss der Klimawandel auf die Biodiversität der Tiefsee hat, ist hingegen kaum bekannt. Denn der Meeresboden selbst ist uns weitestgehend ein Rätsel. Studien zu seiner Topografie basieren bisher vor allem auf Berechnungen mithilfe von Satelliten, die aus der Ferne Kartierungsdaten von Tälern und Bergen am Meeresboden erheben. Viel mehr Informationen lassen sich aber aus direkten Beobachtungen und Vor-Ort-Bildern der Tiefsee und ihres Meeresbodens gewinnen, vor allem in flachen Abschnitten. Doch wie viele solcher Erkundungsdaten gibt es?

Nur wenige Flächen am Meeresgrund dokumentiert
Wie groß die bislang erkundete Fläche des Meeresbodens ist, haben nun Forschende um Katherine Bell von der Ocean Discovery League haben ermittelt. Dafür verglichen sie 43.681 Aufzeichnungen von Tauchexpeditionen aus 14 Ländern, die seit 1958 in 120 Wirtschaftszonen und auf hoher See unternommen wurden.
Die Auswertung ergab, dass die Daten der Expeditionen bislang maximal 0,001 Prozent des Meeresbodens in 200 Meter Tiefe oder tiefer abdecken. Die restlichen 99,999 Prozent des Tiefseebodens hat der Mensch demnach noch nie gesehen. Diese Schätzung berücksichtigt bereits, dass einige Tauchdaten nicht öffentlich und daher nicht in die Studie eingeflossen sind. Zum Vergleich: Hätten wir auch von Land nur 0,0001 Prozent der Fläche erkundet (1489 Quadratkilometer), wüssten wir über das Leben auf der Erde lediglich so viel wie über das Leben auf einem Gebiet circa so groß wie Texas. Die erforschte Fläche im Meer misst bisher mindestens 2130 und maximal 3823 Quadratkilometer – das entspricht etwa einem Zehntel von Belgien.
Zu den bereits besuchten Gebieten der Tiefsee zählen vor allem Gebiete im Umkreis von 200 Seemeilen um die Vereinigten Staaten, Japan und Neuseeland, darunter Monterey Bay und Hawaii sowie die Suruga- und Sagami-Bucht. In Meeresgebieten in anderen Teilen der Welt fanden bisher so gut wie keine Taucherkundungen statt. Besonders seit den 1980er Jahren konzentrierten sich die Tauchgänge überwiegend auf Wirtschaftszonen und flachere Küstengebiete statt der hohen See, wie das Team feststellte. In den 1960er Jahren fanden noch 51,2 Prozent aller Tauchaktivitäten auf der heutigen hohen See statt; in den 2010er Jahren sank dieser Anteil auf 14,9 Prozent. Durchgeführt wurden die allermeisten Expeditionen von Forschenden aus den drei genannten Ländern sowie aus Frankreich und Deutschland. Diese reichen Staaten dominieren demnach die kostspielige Tiefseeforschung. Hinzu kommt, dass fast 30 Prozent der Bilder vor 1980 aufgenommen wurden, in Schwarzweiß mit niedriger Auflösung.

Mammutaufgabe Meeresforschung
„Diese kleine und verzerrte Stichprobe ist problematisch, wenn man versucht, einen globalen Ozean zu charakterisieren, zu verstehen und zu verwalten“, schreiben Bell und ihre Kollegen – auch mit Blick auf einen möglichen Tiefseebergbau, um Ressourcen wie Mangan zu gewinnen. „Wir müssen die Ökosysteme und Prozesse der Tiefsee viel besser verstehen, um fundierte Entscheidungen über die Bewirtschaftung und Erhaltung der Ressourcen treffen zu können“, so Bell. Doch mehr Daten zu erheben, ist eine Mammutaufgabe: Die Berechnungen des Teams ergaben, dass es mehr als 100.000 Jahre dauern würde, den gesamten Meeresboden durch Taucher, U-Boote oder Tauchroboter vor Ort zu vermessen und dokumentieren, selbst wenn ab sofort jährlich weltweit 1.000 Teams jeweils drei Quadratkilometer untersuchen würden.
„Diese Schätzungen zeigen, dass wir die Art und Weise, wie wir die globale Tiefsee erforschen und untersuchen, grundlegend ändern müssen“, so Bell und ihre Kollegen. Sie schlagen vor, zum einen mehr Tauchexpeditionen mit moderner Technik zur Datenerfassung durchzuführen. Dabei sollen auch gezielt repräsentative biogeografische Standorte untersucht werden, die in ihrer Summe eine statistische Auswertung der jeweiligen Weltregion zulassen. Auf diese Weise könnte man den gesamten Tiefseeboden erforschen, ohne überall gewesen zu sein. Das würde nicht nur dem Bergbau helfen, sondern auch klären, welche Wirkung die Tiefsee auf die Atmosphäre, das Klima und die Gesundheit unseres Planeten hat sowie welchen Organismen sie einen Lebensraum bietet. Diese könnten uns wiederum Nahrung, Sauerstoff zum Atmen und mögliche neue Arzneimittelwirkstoffe liefern, so das Team um Bell.
Quelle: Katherine Bell (Ocean Discovery League) et al.; Science Advances, doi:10.1126/sciadv.adp8602
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