Nachrichten

#Die Bühne ist sein Schreibtisch

Die Bühne ist sein Schreibtisch

Frank Castorf wird siebzig. Na und, das ist doch nichts Besonderes. Das ist doch keine Leistung, das ist ein Zustand. Viele werden siebzig. Da kann er nichts dafür, das hat er sich nicht erarbeitet, durch einen gesunden Lebensstil zum Beispiel, im Gegenteil. Außerdem ist er nach eigener Aussage Fatalist. Es ist auch nicht die hundert, die Herbert Köfer erreicht hat – der älteste noch arbeitende Schauspieler, weltweit. Sollte Frank Castorf allerdings die hundert erreichen, dann bin ich überzeugt, dass er der älteste noch arbeitende Regisseur sein wird, weltweit, und gleichzeitig der faulste. Das ist ein Widerspruch, aber nur ein scheinbarer. Es ist eine produktive Faulheit, ein sich langsames Ranquälen an die Arbeit. Das mündet dann bei der immer wieder herausgezögerten ersten Probe in Sätzen wie: „Was wollen wir machen?“ oder: „Ich weiß nicht.“

Das Ranquälen verkürzt natürlich die Probenzeit, weil der Termin der Premiere feststeht. Gleichzeitig ist er auch ein großer Termingarant und schon deshalb ein Liebling derAuftraggeber. Man kann an einer Hand abzählen, wie oft Frank Castorf bei seiner Massenproduktion eine Premiere verschoben hat. Da müssen schon Naturereignisse eintreten, wie gebrochene Mittelfüße oder von Affen zerfleischte Hände der Hauptdarsteller. Und dann gibt es immer noch den Rollstuhl.

Allerdings ist er auch ein großer Zuspätkommer. Er kommt notorisch zu spät. Es kann sich um Stunden, aber auch um Tage handeln. Mir ist es angenehm, weil er das Zuspätkommertum nicht nur für sich zulässt. Es geht nicht um Pünktlichkeit, es geht um Effektivität. Das hat er wahrscheinlich als junger Pioniereisenbahner gelernt. Pünktlichkeit ist der Feind der Kreativität. Das lässt natürlich die Probenzeit zusätzlich schrumpfen und mündet in Endlosproben kurz vor dem Showdown. Die Spieler gehen auf dem Zahnfleisch, und der Trainer sitzt auf seiner Bank und läuft zu Hochform auf. Er spielt niemandem den Regisseur vor, was ich oft bei anderen erlebt hatte, die statt zu inszenieren mit dem Darstellen ihrer Regierolle beschäftigt waren. Und die Schauspieler müssen sich auch nicht als Schauspieler mit entsprechender Attitüde präsentieren. Es geht immer ums Thema, und aus Nörglertum wird dann ekstatische Leidenschaft. Das verbindet uns. Und so ging das los:

Er saß spitznasig und nickelbebrillt an einer Gasheizung bei seiner damaligen Freundin Gabi und wartete auf eine Kartoffelsuppe mit Würstchen, die er nicht bereit war, mit mir zu teilen, wie ich später erfuhr, als er sich in einer Laudatio auf mich (ich war gerade Schauspieler des Jahres geworden) beschwerte, ich sei gefräßig und geizig. Ansonsten ist er schon ein Gönner. Doch bei Kartoffelsuppen und vor allem bei den Würstchen hört der Spaß auf. Wir saßen also an der Gasheizung löffelten die Suppe von Gabi (die im Übrigen auch meine Freundin war, platonisch natürlich, also eine Kameradin) und beschwerten uns gegenseitig über unser Schicksal. Das Brandenburger Theater, an dem er engagiert war, ließ ihn nicht arbeiten, und ich wollte nicht arbeiten, weil mir die Regisseure abhandengekommen waren (Richtung Westen).

Uns verbanden eine große Langeweile und der Gedanke, wenn man nur könnte, wie man wollte. Trotzdem wurde unser Nichtstun alimentiert. In einem Land, wo das Recht auf Arbeit in der Verfassung stand, bekamen wir unsere Langeweile bezahlt. Was beruhigte, aber nicht befriedigte. Und so begann eine seltsame Freundschaft. Wir sprachen über Gott und die Welt und die Frauen. Gaby hatte mir schon früher von dem jungen Regisseur mit Geniepotential vorgeschwärmt. Ich hatte aber als Hauptstadtschauspieler und Fernsehdarsteller die Provinz hochnäsig ignoriert. Wir trafen uns immer öfter bei Gaby, und es stellte sich auch eine gedankliche Nähe ein.

Frank Castorf wird siebzig.

Damals war er so alt, wie er sich heute fühlt – so um die dreißig und sehr schüchtern. Die ersten Inszenierungen hatte er im Regieteam gemacht, da galt noch nicht: „Der Starke ist am mächtigsten allein.“ Frank Castorf wird siebzig und ist mehrfacher Rekordhalter.

Ich behaupte mal, in der deutschsprachigen Theatergeschichte hat er mit siebzig Jahren

1. die meisten Inszenierungen,

2. die längsten Aufführungen mit den kürzesten Probezeiten gemacht

und

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!