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#Die Universalität der Untoten

Die Universalität der Untoten

Es ist keine ganz gewöhnliche Schule, an der Fanny und Mélissa und ihre Klassenkameradinnen sich auf das „bac“, das französische Abitur, vorbereiten. Sie studieren an einem Mädcheninternat, das für Kinder und Kindeskinder von Menschen reserviert ist, die mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet wurden. Napoleon hat 1802 diese Vereinigung besonders verdienstvoller Personen jeglichen Standes gegründet und nur zwei Jahre später dann auch die Schule, von der Bertrand Bonello in seinem Film „Zombi Child“ erzählt. Ein Institut im nationalen Interesse, deren Absolventinnen einmal die Geschicke Frankreichs maßgeblich mitbestimmen sollen. Eine Schule auch ganz aus dem Geist der Revolution: elitär und egalitär zugleich.

In der Schwesternschaft, zu der sich Fanny mit drei Freundinnen zusammengeschlossen hat, herrschen dann aber doch Aufnahmekriterien, von denen Napoleon noch keinen Begriff haben konnte: ist sie „cool“ oder „weird“, wollen sie über Mélissa herausfinden, das einzige schwarze Mädchen an der Schule. Sie kommt aus Haiti und bleibt gern für sich.

Der nächtlichen Aufnahmeprüfung für die „sororité“ unterzieht sie sich aber dann doch bereitwillig: Sie soll etwas Persönliches erzählen, etwas, das wirklich tiefe Bedeutung für sie hat. Mélissa verblüfft die Mädchen mit einem Gedicht, einem „Zombi-Schrei“. Es gibt also doch noch Differenzen, die sich nicht einfach dadurch überbrücken lassen, dass alle den belgisch-kongolesischen Rapper Damso mögen. Mélissa bringt ein Wissen mit an die Schule, das die Mädchen nachts im Gipsfigurenkabinett heimlich teilen.

Revolution, das ist Frankreich

Und Bertrand Bonello macht von Beginn an deutlich, dass es ihm dabei um mehr als nur um einen Kick für privilegierte Schülerinnen geht. Die erste Unterrichtsstunde, die im Film zu sehen ist, handelt sicher nicht zufällig von der Revolution. Ein Lehrer mit leicht dandyesker Erscheinung und geschliffener Rhetorik steigt mit einem Zitat von Michelet in eine Erörterung der französischen Identität ein: „la France“, das ist der Name der Revolution. Und umgekehrt: Revolution, das ist Frankreich.

Die Französische Revolution gehört zu den Grundelementen jeglichen Geschichtsunterrichts. Und doch ist keineswegs klar, was darunter genau zu verstehen ist. Jedenfalls dann nicht, wenn man „Zombi Child“ gesehen hat, einen der herausragenden französischen Filme der neueren Zeit. Denn Bonello, schon mit seinen bisherigen Filmen wie „Tiresia“ und „De la guerre“ ein versierter Mythologe des Kinos, hat nichts weniger als einen neuen (kritischen) Revolutionsmythos im Sinn.

Mélissa ist dafür das Medium. Sie ist nach dem großen Erdbeben auf Haiti im Jahr 2010 nach Frankreich gekommen und mit ihr eine Tradition, die für Fanny und ihre Freundinnen zuerst einmal nur wie eine Schauergeschichte klingt. Was ist eine „mambo“, befragt Fanny eine Suchmaschine, und bekommt zuerst eine Antwort aus dem Bereich der Musik, dann aber gleich ein Gräuelbild aus den Vorurteilen über Voodoo. Die Tante von Mélissa ist eine Mambo, auch sie lebt in Paris, sie verdient ein wenig Geld, indem sie die Hunde der Pariser Gutsituierten ausführt, vor allem aber lebt sie in einer intensiven Verbindung mit dem Mutterland Haiti, und das bedeutet in vielen Fällen eben: mit Toten.

Ein postkolonialer Zombiefilm

Mit einer Geschichte im Übergang vom Leben zum Tod beginnt „Zombi Child“: ein Voodoo-Ritual, das noch sehr stark dem Klischee entspricht, dass man in diesem magischen System Schaden für missliebige Menschen gleichsam bei Experten bestellen kann. Fanny, die weiße Hauptfigur, ein hoffnungslos romantisches Mädchen, das von einem kitschigen Schönling namens Pablo träumt, lässt sich vom Klischee leiten, als sie heimlich die Tante von Mélissa aufsucht. Sie möchte Rache üben für eine verschmähte Liebe, von der Bonello bewusst im Unklaren lässt, ob sie nicht immer schon nur ein Mädchentraum war. Die Tante weist die Zumutung zwar von sich („Ich bin keine Hexe“), es ist dann aber doch nicht nur Geld, das sie umstimmt. Fanny ist die Figur, die die Geister ruft, von denen Bonello wohl möchte, dass sie die ganze Nation heimsuchen.

Denn „Zombi Child“ ist der erste postkoloniale Zombiefilm. Als die Untoten zum ersten Mal im Kino auftauchten, da ging es noch in erster Linie darum, schauderhaftes Personal zu finden, und da Haiti bis 1934 zwei Jahrzehnte lang von Amerika besetzt war, drangen auch Elemente der lokalen Vorstellungswelten in die Populärkultur durch. „I Walked With a Zombie“ (1942) ist bis heute ein Meilenstein der einschlägigen Phantasieproduktion. Die Zombie-Filme von George Romero übertrugen das Motiv dann aus der Exotik in die amerikanische Gesellschaft, und seither sind die Zombies nahezu universell geworden, Figuren an der Grenze zwischen Geschichte und Apokalypse.

Bei Bonello werden sie auf eine spezifische Weise universell. In der zentralen Szene von „Zombi Child“ steht Fanny in dem Jugendzimmer von Mélissa. Es ist ein Akt der Überschreitung, denn die Freundin ist nicht dabei, sie weiß nicht einmal, dass Fanny sich in ihre private Welt gewagt hat. An der Wand stehen zwei Worte und eine Zahl geschrieben: Endependans 1804 Macandal. Um diese Botschaft zu verstehen, um also Mélissa zu verstehen, müsste Fanny ein bisschen mehr über die Geschichte Frankreichs wissen als nur den Sturm auf die Bastille, die Guillotine, Robespierre und Danton und schließlich die Taten des kleinen Korsen. Das Datum 1789 ist ohne das Datum 1804 sinnlos. Diese Verbindung aber ist immer noch esoterisch. Die Kunst von Bertrand Bonello in „Zombi Child“ besteht darin, dass er nicht so tut, als hätte er den Schlüssel zu Voodoo. Er stellt nur eine Verbindung her, die für eine künftige Weltgeschichte konstitutiv werden könnte: Denn Voodoo ist kein schwarzer Zauber, sondern „das tägliche Erwachen eines Volkes“.

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