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#Acht Jahre nach dem Massaker

„Acht Jahre nach dem Massaker“

Am 7. Januar jährt sich der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ zum achten Mal. Aus diesem Anlass hat das Pariser Satireblatt gestern eine Sonderausgabe herausgebracht. Diese blickt nicht zurück in die blutige Vergangenheit, sondern befasst sich mit einer nicht minder brutalen Gegenwart: der Niederschlagung der Proteste in Iran.

Aufhänger ist eine typische „Charlie“-Aktion: ein im Dezember ausgeschriebener Wettbewerb für Karikaturen des iranischen Revolutionsführers Ali Khamenei. Die Initiative beruft sich maliziös auf einen Wettbewerb aus dem Jahr 1993, in dem Verantwortliche der Islamischen Republik dazu aufgerufen hatten, Salman Rushdie zu karikieren, den Autor des ihnen verhassten Romans „Die satanischen Verse“. Von den mehr als 300 Zeichnungen, die „Charlie Hebdo“ aus aller Welt erhalten hat, publiziert es die 35 „ausgereiftesten, originellsten und treffendsten“. 2015 war die Redaktion wegen Mohammed-Karikaturen fast ausgelöscht worden – zum Jahrestag des Terroranschlags warten die nach wie vor unter Polizeischutz stehenden Überlebenden und ihre neuen Kollegen jetzt mit einer geballten Ladung Khamenei-Spottbildern auf.

Zwei Hauptthemen dominieren. Zum einen geißeln die Zeichner die Gewalt gegen Protestierende. Ein Bild zeigt Khamenei mit einem Schraubaufsatz anstelle der rechten Hand; vor ihm liegen Prothesen mit einem Schlagstock, einer Pistole, einem Messer – „which one this time?“, fragt eine Sprechblase. Etliche Karikaturen zeigen Henkersknoten: als Turban auf dem Haupt des Revolutionsführers; als Rettungsseil, an dem sich dieser aus einem blutigen Meer herauszuziehen sucht; als Tau, an dem Protestierende zerren, um dem Ajatollah die Zähne aus dem aufgesperrten Mund zu ziehen. Zum andern lassen viele Zeichnungen Irans Frauen als starke, stolze Kämpferinnen hochleben. Ein Cowgirl sucht einen panisch fliehenden Khamenei mit dem Lasso einzufangen. In ein schwarzes Ungeziefer verwandelt, wird der Revolutionsführer durch den Stilettoabsatz eines Pumps aufgespießt. Vier Rapunzeln drehen aus ihrer Haarpracht einen Strick, an dem der Ajatollah baumelt, vergeblich nach einer Schere hangelnd, die eine der vier ihm neckisch vor die Nase hält.

Frage nach einem reformierten Islam

„Alle Teilnehmer haben einen Platz in der Hölle gewonnen“, schreibt „Charlie Hebdo“. Iranische Trollfarmen haben den Twitteraccount des Satireblatts mit Beistandsbekundungen an Khamenei überschwemmt. So zu lesen in einem der 17 Artikel. Diese beleuchten Aspekte der gegenwärtigen Protestbewegung. Eine gewisse Linke, „die seit je zarte Gefühle für die kaputtesten Regimes auf Erden hegt, solange diese nur Amerika hassen“, moniert Gérard Biard, zeige nur wenig Interesse für die „neue iranische Revolution“. Jene von 1979 betreffend erinnert Yann Diener an die Verblendung von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, vor allem aber von Michel Foucault. Diese hätten „an der Banalisierung einer im Entstehen begriffenen Theokratie“ mitgewirkt.

Ob auch ein anderer, reformierter Islam denkbar sei, stellt Laure Daussy eine zigmal wiedergekäute Frage. Die Antwort ist indes originell: Die Reporterin hat eine Reflexionsgruppe sogenannter Neo-Mu’tazilisten aufgespürt, Anhänger einer Strömung, die ihre Blütezeit zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert erlebte. Ihre Maximen – kontextualisieren, analysieren, interpretieren, kritisieren – beschwören das westliche Ideal eines aufgeklärten Islams. Mitglieder der Gruppe, mit denen Daussy spricht, haben gegen weibliche Imame, gleichgeschlechtliche Ehen, zur Not Mohammed-Karikaturen nichts einzuwenden. Dass die Neo-Mu’tazilisten sich wegen der Bedrohung durch Islamisten heimlich treffen müssen, spricht Bände.

Schließlich thematisieren etliche Beiträge die sexuelle Befreiung und die Frauenemanzipation in Iran und seinen Nachbarstaaten. Auslöser der seit Mitte September andauernden Proteste war bekanntlich die mutmaßliche Tötung von Mahsa Amini durch Mitglieder der Sittenpolizei nach ihrer Festnahme wegen inkorrekten Tragens des Hidschabs. Die 22-Jährige war kurdischer Abstammung – die gegenwärtig auf Irans Straßen skandierte Losung „Frauen, Leben, Freiheit“ stammt aus Kurdistan, erklärt Natacha Devanda in einem Artikel, der an die Rolle kurdischer Frauenbrigaden im Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ erinnert. Von stupender Aktualität sind zwei Artikel aus dem Frühjahr 1979. Sylvie Caster reiste da für „Charlie Hebdo“ mit 15 weiteren Feministinnen (darunter Alice Schwarzer) nach Iran. Die Autorin schreibt über ihr Missbehagen am Schleiergebot und über die Verwerfungen, die dieses unter Linken zeitigt; über schiitische „Feministinnen“, die Erfüllung im Kochen und Kinderkriegen suchen; und über die Legalisierung von Polygamie und die strafrechtliche Ahndung von Homosexualität im Mullah-Regime. Sieben Wochen nach Khomeinis Machtergreifung war schon alles gesagt.

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