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#Acht Millionen Kilometer in achtzig Jahren

Acht Millionen Kilometer in achtzig Jahren

Wer die Ornithologie als Hobby entdeckt, konzentriert sich meistens zuerst auf Singvögel. Die über den Rasen trippelnde Amsel ist uns genauso geläufig wie das neugierige Rotkehlchen. Nur wenige würden auf die Idee kommen, mit Limikolen oder Reihern einzusteigen. Oder mit Seevögeln. Zum einen sind sie nicht einfach zu bestimmen. Heranwachsende Silber-, Mittelmeer-, Mantel- und Heringsmöwen auseinanderzuhalten braucht Übung. Auch junge Spatel-, Schmarotzer- und Falkenraubmöwen sehen für jemanden, der nur einen flüchtigen Blick riskiert, mehr oder weniger gleich aus. Zum anderen sind diese Vögel weit weg von allem, was uns vertraut erscheint. Die hohen Breiten und subpolaren Meere sind ihre Komfortzone. „Je heimatferner wir uns fühlen mögen, desto heimischer sind sie.“ So formuliert es der englische Autor Adam Nicolson in seinem Buch „Der Ruf des Seevogels“.

Als er acht Jahre alt war, reiste sein Vater mit ihm zu den Shiant Islands. Die unbewohnte Inselgruppe gehört zu den Äußeren Hebriden Schottlands und besitzt einen herben Charme: Steilküsten und Steinstrände, Grashänge und Regen. Ein unwirtlicher Ort. Und doch tobte dort das Leben. Der kleine Adam wurde von dreihunderttausend Vögeln begrüßt. Sie sausten über seinen Kopf hinweg und ließen sich aus nur einem Meter Entfernung studieren: „Es war ein Blick in eine andere Welt.“ Aus dem Jungen von damals ist inzwischen ein vierundsechzigjähriger Mann geworden, doch die Faszination für Basstölpel, Dunkle Sturmtaucher, Trottellummen und Kormorane hat kein Stück nachgelassen. Sie ist vielmehr zu einer wahren Leidenschaft geworden.

Adam Nicolson: „Der Ruf des Seevogels“. Aus dem Leben von Papageientauchern, Tölpeln und anderen Meeresreisenden.


Adam Nicolson: „Der Ruf des Seevogels“. Aus dem Leben von Papageientauchern, Tölpeln und anderen Meeresreisenden.
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Bild: Liebeskind Verlag

Befasst man sich eingehender mit diesen Tieren, verwundert das nicht. So gibt es „keine fliegenden Meeressäuger, keine Seefledermäuse, keine Seeinsekten, keine fliegenden Krabben oder Lufthummer“ – aber Meeresvögel. Von den etwa zehntausend bekannten Vogelarten haben sich nur dreihundertfünfzig auf die offene See spezialisiert. Ihr Leben unterscheidet sich grundlegend von dem eines Zaunkönigs oder einer Stockente. Während der gefiederte Besucher im Garten vielleicht zwei Jahre alt wird, gleitet ein Wanderalbatros achtzig Jahre lang über die Ozeane und legt dabei acht Millionen Kilometer zurück. Außerdem sind Seevögel oft monogam, wobei sich beide Eltern an der Jungenaufzucht beteiligen. Häufig legen die Weibchen nur ein Ei (Blaumeisen bringen es auf siebzehn Eier), und das auch erst nach vielen Jahren.

Diese überschaubaren Verhältnisse stehen in krassem Kontrast zu den Massenversammlungen, die Seevögel zur Brutsaison anberaumen. Allein an den Küsten um Neufundland finden sich jeden Sommer 35 Millionen Exemplare ein, um für Nachwuchs zu sorgen. Neben solchen bemerkenswerten Zahlen wartet Nicolsons Abhandlung mit Grafiken, Fotos und Forschungserkenntnissen auf. Der Autor berichtet, warum Papageientaucher sich von der Farbe Orange angezogen fühlen und welche unglaublichen Daten ein GPS-Sender auf dem Rücken eines Eissturmvogels lieferte.

Die zehn Kapitel, in denen es nicht nur über die Biologie und die kulturgeschichtliche Bedeutung der Tiere, sondern auch über unseren schonungslosen Umgang mit ihnen manches zu lernen gibt, bringt Nicolson oft mit einer poetischen Sprache in Form: subjektiv, empfindsam, streckenweise leider raunend und in metaphysischen Kitsch abdriftend. So imposant Seevögel auch sind, dass sie Genialität verkörpern und die „Schönheit und das Mysterium des Seins vor Augen führen“, darf bezweifelt und als rhetorischer Flitter abgetan werden. Davon abgesehen, ist Adam Nicolson eine differenzierte Darstellung gelungen, die auch Kenner der Materie beeindrucken wird.

Adam Nicolson: „Der Ruf des Seevogels“. Aus dem Leben von Papageientauchern, Tölpeln und anderen Meeresreisenden. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Liebeskind Verlag, München 2021. 368 S., geb., Abb., 36,– €.

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