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#Ist das Literatur oder Mord?

Ist das Literatur oder Mord?

Jünger, diverser, sprachlich wie hingerotzt! Und kein Blog oder Podcast oder TikTok-Video, sondern ein echtes Buch! So viel ist sicher: Das verkauft sich. Im Rahmen dessen, was die Verlagsbranche inzwischen für geschnitten Brot hält. Für den Frankfurter Nischenverlag von Roland Häbler (Clemens Schick), für den jedes Projekt eine Wette auf den Fortbestand des Gedruckten ist, und seinen Lektor Marvin Gess (Thomas Prenn) läuft es mit der Neuerscheinung, „Luna frisst oder stirbt“, ausgezeichnet. In den Literaturvideoblogs ist von einer „Kampfansage“ ans Establishment die Rede. Abrechnungen solcher Art liest das bücherkaufende Establishment gern.

PR-technisch fast noch besser: Die neunzehnjährige Autorin Luise Nathan (Jana McKinnon), Tochter der bestens vernetzten Frankfurter Sozialdezernentin Friederike Nathan (Nicole Marischka), aus bildungsbürgerlichem Haus und entsprechend sicher in der Öffentlichkeit auftretend, könnte man schon optisch für eine Schwester von Luisa Neubauer und Helene Hegemann halten. Mehr Bäm! geht kaum.

Die Träume von der wiederholten Furore auf dem Buchmarkt muss Häbler am Morgen nach der Bucherscheinungsparty freilich begraben. Vielleicht hätte er sich als Geistesmensch mehr Gedanken über den Unterschied von Rollenprosa und Autofiktion machen und seinen labilen Jungstar besser vor sich selbst schützen sollen. Die Autorin jedenfalls hat ihrem Leben von eigener Hand ein Ende gesetzt. Genau wie in ihrem Alter-Ego-Roman beschrieben. War es der Druck?

Man weiß nicht, wo er hin will

Das klingt nach einer Kritik des Frankfurter Betriebs in Krimiverkleidung, aber die Sorge um das Medium Buch ist die Sache des neuen HR-„Tatorts“ keineswegs. Hier und da gestattet man sich zwar eine Sottise („Sicher nicht die einzige Debütantin mit Beziehungen“), aber die Zielrichtung der vierzehnten Ermittlung von Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) mit ihrem Assistenten Jonas (Isaak Dentler) ist zwar etwas nebulös, in näherer Hinsicht aber ungefähr dreifach anders.

Tristesse zu dritt am Main: die Ermittler Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch, rechts) mit ihrem Assistenten Jonas (Isaak Dentler)


Tristesse zu dritt am Main: die Ermittler Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch, rechts) mit ihrem Assistenten Jonas (Isaak Dentler)
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Bild: HR/Bettina Müller

Einerseits ist „Luna frisst oder stirbt“ kunstambitioniert in Richtung Metafiktion unterwegs, da schwächelt der Film am meisten, andererseits bewegt er sich beobachtend um eine Mädchenfreundschaft herum, das ist gar nicht schlecht gelungen, und schließlich müht er sich in Richtung Sozialkritik und Chancenungleichheit ab, da ist er platt. Die Kommissare sind bloß Stichwortgeber und müssen dafür sorgen, dass die Handlung vorangeht (Regie und Buch Katharina Bischof, Buch Johanna Thalmann).

Die Kommissare als Literaturkritiker

Der Einfall: Um dem Mörder von Luise auf die Spur zu kommen (ein Suizid war es mitnichten), müssen die Polizisten sich als Literaturinterpreten betätigen. Nun ist Literaturkritik ja ein spezielles Metier, das erfährt auch ihr Assistent, als sich alle drei in einer recht kuscheligen Szene im Präsidium über das Werk der Toten beugen, einander in die ratlosen Gesichter blicken und schließlich die Realitätsspuren einer schwer unterprivilegierten Adoleszenzgeschichte suchen. Schließlich ist, so der längst verstorbene Dichter, Fiktion „Erfindung des Gefundenen“.

Die Kamera nimmt die Idee auf und lässt die Szenerie des gedruckten Worts immer wieder zum filmischen Einschub werden. Immer wenn Luise ihr wütendes, hungerndes, frierendes Roman-Ich, das sie „Luna“ nennt, in Situationen der Ausweglosigkeit schickt, spielt dieser „Tatort“ diese „Luna“ mit Luises Figur nach. Damit man auch deutlich versteht, dass es sich hier um Film-im-Film-Metafiktion handelt, taucht der „Tatort“ diese Szenen in rosa Licht (Kamera Julia Daschner). Später zeigt er „Luna“ auch als Nellie Kunze (Lena Urzendowsky), Luises ehemals beste Freundin, die mit ihrer alleinerziehenden, öfters schwer weggetretenen und ausrastenden Mutter Jessie (Tinka Fürst) und kleiner Schwester in einer Hochhauswohnung lebt, vor deren Tür von Zeit zu Zeit der Ex-Stiefvater wütet.

Wer ist jetzt wer? Wem gehört der Stoff von Nellies Leben? Engagiert sich die Sozialdezernentin aus Imagegründen für das Benachteiligten-Caféprojekt „Die Kelle“ (ansatzweise der „Arche“ nachempfunden)? Lügt die Literatur? Das sind so Fragen. Würde dieser „Tatort“ in raffinierteren Spannungsbögen und mit mehr fiktionaler Vieldeutigkeit statt Behauptung erzählt, hätte er seinem Ansatz gerecht werden können.

So aber ist er eine ziemlich plumpe, auch künstlich naive Angelegenheit. Dass nicht alles eins zu eins stimmt, was in Romanen steht, müssen die Kommissare hier erst stirnrunzelnd, dauerfragend und beständig herumpuzzelnd herausfinden. Schön leicht und überzeugend spielen dagegen Jana McKinnon und Lena Urzendowsky die Fiktion einer Freundschaft (wie jüngst gemeinsam in der Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“). Doch das reißt den Film „Luna frisst oder stirbt“ nicht heraus.

Der Tatort: Luna frisst oder stirbt läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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