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#Ein „Weckruf“ für Chiles progressiven Präsidenten

„Ein „Weckruf“ für Chiles progressiven Präsidenten“

Noch vor wenigen Wochen schien der progressive Wandel in Chile unaufhaltsam. In der Präsidentenwahl Ende des vergangenen Jahres hatte sich der linke Gabriel Boric klar in der Stichwahl durchgesetzt. In den zwei Jahren zuvor hatte der Druck von der Straße die politische Elite des Landes in die Knie gezwungen. In einer Abstimmung über die Ausarbeitung einer neuen Verfassung setzten sich die Befürworter im Jahr 2020 klar durch. Doch was noch fehlt, ist die neue Verfassung selbst. Dabei war die Abkehr vom aktuellen Grundrecht, das aus der Zeit der Militärdiktatur stammt und die Basis für den subsidiären Staat in Chile bildet, eine der zentralen Forderungen des 2019 ausgebrochenen sozialen Aufstandes im Land. Doch möglicherweise will die Mehrheit der Chilenen gar keinen tiefen Umbruch.

Das zumindest legen zwei neue Umfragen nahe, in denen die Chilenen gefragt wurden, ob sie eine neue Verfassung annehmen oder ablehnen würden. Ein im vergangenen Jahr gewählter Verfassungskonvent soll das neue Grundgesetz bis im Juli vorlegen. Später im Jahr werden die Chilenen darüber abstimmen. Bisher stand eine Annahme außer Frage. In den neusten Umfragen sprach sich nun jedoch erstmals eine Mehrheit der Befragten dagegen aus. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Cadem zeigt, dass 46 Prozent der Befragten derzeit gegen eine neue Verfassung stimmen würden. Das sind 13 Prozentpunkte mehr als Ende Januar. Die Unterstützung ist im selben Zeitraum von 56 auf 40 Prozent gesunken. Eine zweite Umfrage von Activa zeigt in dieselbe Richtung. Knapp 36 Prozent der Befragten geben darin an, die neue Verfassung abzulehnen, 32 Prozent sind dafür.

Volksvertreter im Verfassungskonvent vor allem links

Die Umfragen haben die Regierung von Boric erschrocken. Der 36 Jahre alte Präsident, ein Jurist, früherer Abgeordneter und einstiger Studentenführer, verkörpert den Wunsch nach Wandel, der vor allem von jungen Chilenen getragen wird. Am Dienstag äußerte er sich zu den Umfragen, die er als „besorgniserregend“ einstufte und als „Weckruf“ für alle einstufte, die dem Prozess vertrauten und glaubten, dass er notwendig sei. „Wir befinden uns in einem konstituierenden Prozess, in dem wir zum ersten Mal in unserer Geschichte auf demokratische und auf gleichberechtigte Weise unter Beteiligung indigener Völker darüber diskutieren, wie unsere Grundcharta aussehen wird“, sagte er.

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Bei der Volksabstimmung über die Frage, ob Chile sich eine neue Verfassung geben soll, hatten sich 2020 über drei Viertel der Wähler dafür ausgesprochen. Die anschließende Wahl der Verfassunggebenden Versammlung wurde zum Debakel für die traditionellen politischen Kräfte, insbesondere für das konservative Lager. Drei Viertel der Volksvertreter im Verfassungskonvent sind Linke, unabhängige Aktivisten, Vertreter von sozialen Bewegungen und der indigenen Völker. Die Rechte hat nur 38 der insgesamt 155 Stimmen und damit nicht einmal das nötige Drittel, das es ihr ermöglicht hätte, Verfassungsartikel zu blockieren und mehr Gleichgewicht zu schaffen.

Gegenbewegung formiert sich

In konservativen Kreisen, in der Wirtschaft und auch bei vielen Intellektuellen besteht die Furcht, dass die neue Verfassung zu aktivistisch sind und zu weit gehen könnte. Etwa siebzig Persönlichkeiten aus der Politik, der Wirtschaft und ehemalige Minister der früheren Mitte-links-Regierungen haben sich daher in einem losen Bündnis zusammengeschlossen, um vor einer „Neugründung“ Chiles „von null auf“ zu warnen. Sie stellen sich nicht gegen eine neue Verfassung, doch sehen sie die Gefahr, dass der Verfassungskonvent das Land „in eine Sackgasse führt“. Das Problem ist, dass die meisten Chilenen sehr wenig vom Prozess mitbekommen und weiterhin weitgehend unklar ist, wie die neue Verfassung tatsächlich aussehen wird. Vor zwei Wochen wurde die Frist bis zur Abgabe des Textes um drei Monate bis Anfang Juli verschoben.

Der Vertrauensverlust der Wähler in den verfassunggebenden Prozess sowie die Skepsis hinsichtlich umstrittener Vorstöße über Fragen der Eigentumsrechte, der Struktur des Kongresses oder der Pensionsfonds, die sich nun auch in den neusten Umfragen spiegelt, hat Diskussionen über die Möglichkeit eines „dritten Weges“ in der Abstimmung über die Verfassung angeregt. Anstatt einer Annahme oder Ablehnung sollte den Chilenen zusätzlich die Möglichkeit eines „Nein, aber“ ermöglicht werden. Ein entsprechendes Votum könnte dann als Auftrag einer grundlegenden Reform der bestehenden Verfassung umgesetzt werden, die dem Kongress unterläge, wo die politischen Kräfteverhältnisse ausgeglichener sind.

Verfassungsrechtler halten diese Möglichkeit für schwer umsetzbar, zumal die Idee sehr spät kommt. Die Befürworter einer neuen Verfassung verurteilen den Vorschlag als eine Taktik, um den Prozess zu verzögern oder aufzuhalten. Letzteres würde allerdings auf eine noch deutlichere Art und Weise geschehen, wenn eine Mehrheit der Chilenen die neue Verfassung in der Volksabstimmung abschmetterte. Selbst eine knappe Annahme der neuen Verfassung wäre nach Ansicht vieler Beobachter eine schlechte Voraussetzung für ein neues Grundrecht, das Jahrzehnte überdauern soll.

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