Adolescence zeigt, warum wir Filme und Serien brauchen: Der Einfluss des Netflix-Hits erklärt

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Adolescence hat niemand kommen sehen. Die Serie ist beinahe klammheimlich am 13. März 2025 ins Streaming-Programm bei Netflix eingezogen, nur ein Tag, bevor auch der Sci-Fi-Blockbuster The Electric State die Plattform erreicht hat. Während The Electric State – begleitet von einer riesigen Werbekampagne – mit einem rekordverdächtigen Budget von 320 Millionen US-Dollar produziert wurde, steht hinter der britischen Krimi-Serie nur der winzige Bruchteil dieser Summe. Knapp drei Wochen später spricht niemand mehr über The Electric State. Adolescence hingegen ist weiterhin in aller Munde.
Es ist ein Phänomen, das sich regelmäßig im TV und Kino zeigt, sich jedoch schon lange nicht mehr so stark ausgeprägt hat wie jetzt: dass der Underdog die Herzen der Zuschauenden oft mehr bewegen kann, als die große Hochglanzproduktion. Doch der Hype um Adolescence setzt da nochmal einen drauf. Denn die Serie erreicht nicht nur das Herz des Publikums, sondern auch das der Gesellschaft.
Der Netflix-Hit Adolescence erschüttert mit einer hochaktuellen Thematik
In Adolescence wird der 13-jährige Jamie (Owen Cooper) des Mordes an einer Mitschülerin beschuldigt. Er soll mehrfach mit einem Messer auf sie eingestochen haben. Über die vier Folgen der Serie hinweg erfahren wir nicht nur, ob er die Tat tatsächlich begangen hat, sondern vor allem auch warum. Durch die Antwort tun sich gleich mehrere Abgründe auf, die über Messerkriminalität, den Einfluss sozialer Medien und toxischer Männlichkeit reichen.
Dass jede Folge in einem One-Shot, also einer Einstellung ohne Schnitte, gedreht wurde, unterstreicht die Wucht der Erschütterung und Enthüllung dieser Themen. Dass diese Themen aber vor allem einen bestimmten Zeitgeist treffen, bringt sie in die Mitte der Gesellschaft. Adolescence wurde mittlerweile 96,7 Millionen Mal auf Netflix gestreamt, die Serie steht damit nach einem nur dreiwöchigem Lauf auf dem 8. Platz der meistgesehenen englischsprachigen Netflix-Serien aller Zeiten.
Zahlreiche Medien berichten darüber und setzen die Geschichte mit realen Geschehnissen in Bezug, die mittlerweile sogar eine politische Ebene erreicht haben. So hat sich auch der britische Premierminister Keir Starmer die Netflix-Serie angesehen und daraufhin eine Entscheidung getroffen. Wie Variety berichtete, wird Adolescence in allen weiterführenden Schulen in Großbritannien mit Infomaterialien für Lehrkräfte über den Streamingdienst Film+ zur Verfügung gestellt.
Dazu erklärte Starmer:
Als Vater, der die Serie mit seinem jugendlichen Sohn und seiner jugendlichen Tochter geschaut hat, kann ich sagen – es hat uns schwer getroffen. Es ist eine wichtige Initiative, so viele Schüler:innen dazu zu motivieren, die Serie zu schauen, wie möglich. Wie ich es mit meinen eigenen Kindern erlebe, ist es essenziell, offen darüber zu sprechen, wie sie kommunizieren, welchen Content sie sehen und die Gespräche zu ergründen, die sie mit ihren Mitschüler:innen haben, um sie dabei zu unterstützen, mit diesen gegenwärtigen Herausforderungen und Einflüssen umzugehen.
Incels und die Manosphere: Adolescence bringt die Randbewegung in die Aufmerksamkeit des Mainstreams
Die Herausforderung und Einflüsse, auf die sich Starmer hier bezieht, werden in Adolescence namentlich benannt. Andrew Tate fällt als beispielhafte Einzelperson einer Leitfigur, die online gefährlichen Content für junge Männer bereitstellt, in dem er sich für männliche Dominanz und weibliche Unterwerfung ausspricht. 2022 wurde er mit seinem Bruder Tristan wegen Verdacht auf Menschenhandel, Vergewaltigung und organisierte Kriminalität verhaftet. Auch wenn Jamie in Folge 3 gegenüber seiner Therapeutin erklärt, dass er mit Tates Videos nichts anfangen könne, geht die Problematik mittlerweile weit über Tate hinaus und hat sich in einer Bewegung manifestiert, die als Incels oder Manosphere bezeichnet wird.
Als Incels wird eine Gruppe von Männern benannt, die sich in der aktuellen Gesellschaft als benachteiligt gegenüber Frauen wahrnehmen und gleichzeitig der Meinung sind, sie hätten ein Anrecht darauf, mit Frauen Sex zu haben. Das Wort setzt sich aus „Involuntary Celibate“ zusammen, auf Deutsch also „Unfreiwilliges Zölibat“. Das beschreibt jedoch nicht nur den Zustand, dass diese Männer keinen Sex mit Frauen haben, obwohl sie gerne hätten, sondern Frauen aufgrund dieses Zustands abwerten, manipulieren oder physisch belästigen. Auf sozialen Medien wie TikTok oder Instagram gibt es zahlreiche Influencer und Content-Creator, die jungen Männern genau diese Theorien erklären und aufzwingen. Die Websites, Blogs und Foren, die damit in Zusammenhang stehen, werden unter der Manosphere zusammengefasst.
Auch Jamie lässt diese Weltsicht in Adolescence durchblicken, indem er den Mord an seiner Mitschülerin Katie nicht etwa abstreitet, sondern unentwegt erklärt: „Ich habe nichts Falsches getan.“ Gleichzeitig wird enthüllt, dass er zuvor versucht hat, mit Katie auszugehen. Er erklärt, dass er sie nur angesprochen habe, weil er das Gefühl hatte, sie sei von anderen nicht so begehrt, weswegen er sie möglicherweise „abbekommen“ könnte. Katies Abweisung und das darauffolgende Mobbing rechtfertigte für ihn die Tat, bei der er sich damit rühmte, es beim Mord belassen zu haben und sie nicht auch noch sexuell belästigt zu haben – etwas, das andere Jungen seiner Meinung nach getan hätten, was ihn wiederum besser mache.
Auch wenn die Serienschöpfer und Drehbuchautoren Jack Thorne und Stephen Graham hier keinen realen Einzelfall fiktionalisieren, bringen sie in Adolescence ein weitreichendes Problem innerhalb der Gesellschaft und viele kumulierte Fälle gleichzeitig ans Licht. Dieses Problem hat sich innerhalb der letzten Jahre durch die Anti-Woke-Bewegung und den Rechtsruck in zahlreichen Ländern weiter manifestiert, der vor allem bei jungen Männern zu beobachten ist.
Dass die Serie jetzt Konversationen über genau diese Themen auslöst und sogar in den Lehrplan von Schulen aufgenommen wird, ist ein unglaubliches Zeugnis für die Strahlkraft des Mediums, das einmal mehr eindrücklich zeigt, warum wir Serien und Filme wie Adolescence brauchen – und was diese bewegen können. Und das kann man sich selbst mit einem Budget von 320 Millionen US-Dollar nicht kaufen.
Alle vier Folgen von Adolescence streamen bei Netflix.
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