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#Ägyptologe Jan Assmann im Alter von 85 Jahren gestorben

Der Ägyptologe und Religionswissenschaftler Jan Assmann ist tot. Er starb in Konstanz nach langer Krankheit im Alter von 85 Jahren. Ein Nachruf

Ägypten ist im Abendland eine zweifache Chiffre. Das Land am Nil mit seinen riesenhaften Monumenten und der schriftlichen Überlieferung in Bildern steht sowohl für das Dunkle, vielleicht grundsätzlich Unverständliche als auch für dessen Gegenteil, den Anfang von Philosophie und Aufklärung. In einigen der schlechthin klassischen Texte der griechischen Literatur wird das Land an der afrikanischen Gegenküste in diesem Sinne als die nächste Fremde beschrieben, um eine in unseren Tagen geläufige Heidelberger Redensart zu variieren. Die griechischen Philosophen, die nach dem Anfang der ganzen Welt fragten, dachten darüber nach, dass sie in historischer Betrachtung damit ägyptische Anfänge fortsetzten. Solange die Hieroglyphen nicht entziffert waren, blieb die Deutung der ägyptischen Kultur das Feld einer phantasievollen Spekulation, die man sich keineswegs als völlig frei vorstellen darf. Sie orientierte sich an den theologischen Desideraten und philosophischen Prämissen der Religionsparteien und Denkschulen, deren Wortführer die ägyptischen Texte nur aus zweiter oder noch viel weiter entfernter Hand kannten, aus mehr oder weniger blumigen antiken Umschreibungen.

Mit der Entschlüsselung der Bilderschrift ist das Ägyptische in die Zuständigkeit einer spezialistischen Geisteswissenschaft übergegangen, einer Fachdisziplin, wie sie sich just in dieser Zeit, nach der Wende zum neunzehnten Jahrhundert, herausbildeten, typischerweise in Abwendung von den spekulativen Anliegen der älteren Gelehrtenwelt. Seit das Rätsel des Steins von Rosetta gelöst ist, kann die Menschheit die Hieroglyphen lesen. Aber nur ganz wenige Menschen können das auch tatsächlich tun. Wenn die Kulturwissenschaften für ihre universitären Angebote Reklame machen, ist viel vom Erwerb von Sprachkenntnissen die Rede und von dem durch Fremdsprachen geförderten Sinn für das, was heute Alterität genannt wird. Aber die Wissensvoraussetzungen der Ägyptologie schrecken alle außer den fleißigsten Neugierigen ab. Will man die singuläre Wirkung Jan Assmanns auf die Gelehrtenrepublik und die an Aufklärung durch Gelehrte interessierte Öffentlichkeit ermessen, muss man zunächst einmal festhalten, dass er als Ägyptologe einer der einflussreichsten deutschen Geisteswissenschaftler geworden ist.

Den klassischen Themen seines Faches, die seit Jahrtausenden an Ägypten faszinieren, dem an die Erfahrung des Lebens und Wirtschaftens unter der Sonne des Nillandes anschließenden Jenseitsglauben und dessen materieller, sozialer und politischer Ausgestaltung, widmete er eine Reihe großer Bücher. Sie haben von der Form etwas Monumentales, wenn man die Disziplin mitbedenkt, die zur Schaffung echter Monumente nötig ist. Ein Sinn für Systematik trat in den Dispositionen hervor, ein Interesse an der Möglichkeit, die Entwürfe der ägyptischen Kosmologie als Gegenstücke zu späteren Einstellungen zur Welt zu beschreiben. Assmanns Buch „Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten“ wird auch einen Platz in Übersichtswerken zur Ethik und politischen Philosophie unserer Zeit erhalten.

Jan Assmann, geboren 1938, wuchs in Lübeck und Heidelberg auf und bekleidete seit 1976 den Lehrstuhl für Ägyptologie der Heidelberger Universität. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Aleida Assmann, die ebenfalls Ägyptologie studierte und seit 1993 englische und allgemeine Literaturwissenschaft in Konstanz lehrt, hat Jan Assmann die Leitgedanken seiner uraltertumswissenschaftlichen Forschung zu einer Theorie des kulturellen Gedächtnisses ausgearbeitet, die der jahrzehntelang boomenden, dabei aber auch über die Aufteilung der Fachdisziplinen hinaus scheinbar heillos zersplitternden Erforschung der kulturellen Überlieferung ein Organon zur Verfügung stellte. Jan Assmanns Vater war Architekt, Aleida Assmanns Vater ein berühmter Professor für Neues Testament. Gemeinsam wurden Jan und Aleida Assmann in den Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste aufgenommen, das erste Ehepaar im Orden.

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