#Ältestes christliches Zeugnis nördlich der Alpen

Inhaltsverzeichnis
Ein 3,5 Zentimeter kleines Silberamulett aus einem Grab in der Frankfurter Römerstadt Nida hat sich als spektakulärer Fund erwiesen. Denn im Inneren des Amuletts aus der Zeit um 230 bis 270 nach Christus verbarg sich eine gerollte Silberfolie mit einem christlichen Text, wie Röntgenanalysen enthüllen. Diese „Frankfurter Silberinschrift“ ist damit eine der ältesten rein christlichen Inschriften nördlich der Alpen und ein bedeutendes Zeugnis des frühen Christentums.
Entdeckt wurde das Silberamulett bereits 2018 bei Ausgrabungen in den Ruinen der römischen Stadt Nida, der Vorläufersiedlung des heutigen Frankfurt am Main. In einem Gräberfeld aus dem dritten Jahrhundert in Frankfurt-Praunheim stießen die Archäologen auf ein Grab mit den Gebeinen eines Mannes. Unter seinem Kinn lag ein kleines Silberamulett, ein sogenanntes Phylakterium, das er wohl einst an einem Band um den Hals trug. Ein solches Phylakterium ist ein am Körper getragener Behälter, der magischen Inhalt oder in späterer Zeit christliche Reliquien birgt und den Träger beschützen soll.
(Video: Stadt Frankfurt)
Silberfolie mit Schriftzeichen
Schon während der Ausgrabung war erkennbar, dass das antike Silberamulett eine dünne, zusammengerollte Silberfolie enthielt. Mikroskopische Untersuchungen und Röntgenaufnahmen im Jahr 2019 zeigten dann, dass auf dieser Folie eine Inschrift eingeritzt war. Doch die hauchdünne Silberfolie war durch die lange Zeit im Boden zu spröde und brüchig, um sie einfach aufzurollen und die Inschrift zu lesen. Sie würde dabei auseinanderfallen und unwiederbringlich zerstört. Deshalb wurde das Fundstück einem Team um Ivan Calandra vom Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz (LEIZA) in Mainz übergeben. Im Mai 2024 durchleuchteten sie die Silberfolie mit einem hochmodernen Computertomographen.
„Die Herausforderung in der Analyse bestand darin, dass das Silberblech zwar gerollt, aber nach rund 1800 Jahren natürlich auch zerknickt und gepresst war. Mittels des CT konnten wir es in einer sehr hohen Auflösung scannen und ein 3D-Modell erstellen“, berichtet Calandra. Im nächsten Schritt nutzten er und sein Team eine für dieses Objekt speziell entwickelte computergestützte Analysemethode , mit deren Hilfe sie einzelne Segmente des Scans virtuell Stück für Stück zusammensetzen konnten. Erst durch diese digitale Entrollung wurde der im antiken Silberamulett verborgene Text lesbar.
Ein rein christlicher Text in heidnischem Umfeld
Doch was besagte die Silberinschrift? Um das zu klären, machte sich anschließend Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität an die Arbeit. Dem Archäologen und Experten für lateinische Inschriften gelang es tatsächlich, die 18 Zeilen der „Frankfurter Silberinschrift“ zu entziffern und beschädigte oder fehlende Worte zu ergänzen. „Ich habe Fachleute unter anderem aus der Theologiegeschichte hinzugezogen und Stück für Stück haben wir uns gemeinsam dem Text genähert und ihn letztlich entziffert“. Dies enthüllt, dass es sich bei der Inschrift um einen christlichen, auf Latein verfassten Text handelt.
„Das ist ungewöhnlich für diese Zeit. Normalerweise waren solche Inschriften in Amuletten auf Griechisch oder Hebräisch verfasst“, erklärt Scholz. Zudem ist der Text sehr ausgefeilt. Der Verfasser muss ein elaborierter Schreiber gewesen sein.
Die Übersetzung lautet nach derzeitigem Stand:
(Im Namen?) des Heiligen Titus.
Heilig, heilig, heilig!
Im Namen Jesus Christi, Gottes Sohn!
Der Herr der Welt
widersetzt sich nach [Kräften?]
allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?).
Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden
Eintritt.
Dieses Rettungsmittel(?) schütze
den Menschen, der sich
hingibt dem Willen
des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn,
da sich ja vor Jesus Christus
alle Knie beugen: die Himmlischen,
die Irdischen und
die Unterirdischen, und jede Zunge
bekenne sich (zu Jesus Christus).
Diese 18 Zeilen stellen damit das älteste christliche Zeugnis nördlich der Alpen dar. Den Datierungen zufolge stammt diese Silberinschrift aus der Zeit zwischen 230 und 270 nach Christus und ist damit fast 200 Jahre älter als die bisher ältesten gesicherten Nachweise für christliches Leben in den nordalpinen Gebieten des Römischen Reiches, wie das LEIZA berichtet. Zwar gebe es überlieferte Hinweise aus der Geschichtsschreibung auf erste christliche Gruppen in Gallien und vielleicht auch in der Provinz Obergermanien im späten 2. Jahrhundert. Doch Funde mit christlichem Bezug aus dieser Zeit fehlten bisher. Die Silberinschrift belegt jedoch eindeutig, dass dieser Tote bereits ein gläubiger Christ war.
“Eine wissenschaftliche Sensation”
„Die ,Frankfurter Inschrift‘ ist eine wissenschaftliche Sensation. Durch sie wird man die Geschichte des Christentums in Frankfurt und weit darüber hinaus um rund 50 bis 100 Jahre zurückdrehen müssen”, sagt Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef. Ob der Tote seinen Glauben zu Lebzeiten in der noch größtenteils heidnischen Umgebung bekennen und praktizieren konnte, ist allerdings ungeklärt. Umso ungewöhnlicher ist der rein christlicher Bezug der Silberinschrift, wie Scholz und seine Kollegen erklären. Denn bis ins 5. Jahrhundert hinein enthielten Edelmetallamulette dieser Art normalerweise Texte, in denen sich verschiedene Glaubensrichtungen mischten. Vor allem Elemente aus dem Judentum oder heidnische Einflüsse zeigten sich in diesen Texten. Doch im Silberamulett aus dem römischen Frankfurt fehlen diese Bezüge. Das Amulett ist rein christlich.
Noch steht die Auswertung des Textes am Anfang, doch schon jetzt haben Experten einige Besonderheiten entdeckt, die man bisher erst aus weit jüngeren Texten kannte. So wird am Anfang der Inschrift der Heilige Titus genannt, ein Schüler des Apostel Paulus. Auch die Anrufung „Heilig, heilig, heilig!“ aus der christlichen Liturgie war bislang erst aus dem 4.Jh. dokumentiert. Der Text enthält am Ende mit „Die Knie beugen“ zudem ein fast wörtliches Zitat aus dem sog. Christushymnus des Paulus aus seinem Brief an die Philipper. Nach Einschätzung der Forschenden ist die Frankfurter Silberinschrift damit schon jetzt eines der bedeutendsten Zeugnisse des frühen Christentums weltweit. Ihre Entdeckung eröffnet neue Anknüpfungspunkte für die Archäologie, die historischen Wissenschaften und die Theologie.
Quelle: Stadt Frankfurt, Leibniz-Institut für Archäologie in Mainz (LEIZA)
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