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#Wer will schon noch allein sein?

Wer will schon noch allein sein?

Große Monologe über das Wesen der menschlichen Existenz gehören zur Königsdisziplin des Schauspiels. Unvergessen etwa, wie Robin Williams in „Good Will Hunting“ als Hochschullehrer – eigentlich Lebenslehrer – Sean Maguire, auf einer Parkbank sitzend, dem von Matt Damon verkörperten Supermathematiker Will klarmacht, dass Information allein nichts ist, eine emotional wie physisch durchlittene Erfahrung unendlich viel mehr und die Liebe alles. Hunting ist „nur ein überhebliches Kind“ für den Erwachsenen Maguire, das aber trotz empathischer Verkümmerung das Potential hat, seine innere Isolation zu durchbrechen und humane Reife zu erlangen. Maguire sitzt ja auch einem Menschen gegenüber.

Wie anders sieht es ein Vierteljahrhundert später aus beziehungsweise in der technoid glitzernden Zukunft, in die uns die Anthologie-Serie „Solos“ von Amazon entführt: Da halten von Schauspielern aus der ersten Riege Hollywoods wie Helen Mirren, Morgan Freeman oder Anne Hathaway gespielte Figuren Monologe für die Sprachsensoren von Maschinenhirnen und treten in Dialoge mit Bots oder Varianten ihrer Selbst. Zum Mitfühlen fähige Gegenüber finden die je auf ihre eigene Art von Mitmenschen abgeschnittenen Protagonisten nicht für die Lebenszeugnisse, die sie geben, bestenfalls körperlose Künstliche Intelligenzen, die ungleich effizienter rechnen als Will Hunting.

Sasha (Uzo Aduba, unten) will auch nach dem Ende der globalen Gesundheitskrise ihr smartes Eigenheim nicht mehr verlassen.


Sasha (Uzo Aduba, unten) will auch nach dem Ende der globalen Gesundheitskrise ihr smartes Eigenheim nicht mehr verlassen.
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Bild: Jason LaVeris/Amazon Prime Video

Umso seltsamer, dass der Serienschöpfer, Drehbuchautor und Regisseur David Weil – ob bewusst oder unbewusst – ausgerechnet ein dezidiert körperliches Detail aus dem von Matt Damon und Ben Affleck geschriebenen Klassiker abgekupfert hat. Robin Williams hat es beim Drehen improvisiert: die Erinnerung Maguires an Blähungen der Ehefrau. Es brauchte schon Williams’ Genie, um den skatologischen Gag in einen Anlass für Gelächter wie Rührung gleichermaßen zu verwandeln und ein Beispiel für liebenswerte Unvollkommenheit. Anthony Mackie gelingt Ähnliches als Tom in der „Solos“-Episode gleichen Namens nicht. Aber es wäre wohl auch unfair, es zu verlangen: In knapp einer halben Stunde soll er, auf sich gestellt, Leben und Tod verhandeln, wüten, trauern, lieben, und das mit einem so unoriginellen Skript, dass die zweite Satzhälfte oft schon absehbar ist, bevor die erste zu Ende gesprochen wurde. Musikalisch übertüncht das psychedelische Wehmut.

Tom jedenfalls sieht sich – Mackie spielt eine Doppelrolle – Tom II gegenüber, einem ihm täuschend ähnelnden Roboter, der nach dem drohenden Tod seinen Platz in der Familie einnehmen soll. Der Speicher des Androiden birgt sämtliche Verhaltensmuster und Redeweisen des Vorbilds. Dennoch möchte Tom II, was unlogisch ist, noch dies und das über Toms Frau und Kinder wissen – und hört eine ziemlich platte Pups-Story. Sie ist der „Code Red“, der diesen Solisten-Auftritt mit dem von Helen Mirren als Senior-Astronautin und „Major Tom“-Wiedergängerin in „Peg“ verbindet sowie der finalen Episode rund um den dementen „Stuart“ (Morgan Freeman), in dessen Hirn ein junger Mann namens Otto (Dan Stevens) eigene Erinnerungen wiederfinden möchte.

Sieben Kammerspiele, in denen teils aufwendige Kulissen personell auf coronakonformen Minimalismus treffen: Eine Schauspielerin oder ein Schauspieler, ausnahmsweise einmal zwei, quasi im Lockdown vor der Kamera, sollen wohl Stücke zur Stunde zur Aufführung bringen und darüber hinaus zukunftsweisend wirken. Das Zurückgeworfensein aufs eigene Selbst, das keine bleibende Substanz hat und keinen Halt bietet, wird von einer Pandemie oder individuellen Krankheiten erzwungen, technisch aber nicht überwunden, sondern in ein kaltes Schein-Miteinander überführt. Individualität scheint durch Big Data reproduzierbar. Von Transzendenz ist keine Rede. So weit, so durchaus treffend als Zeitdiagnose.

Frappierend und zugleich erschöpfend ist dagegen der depressive Grundton der Serie. Fast sämtliche Protagonisten sind kurz vor dem Verschwinden; davor, unsichtbar und vergessen zu werden. Eine Figur – Anne Hathaway als hibbelige Zeitreisende im Hobbykeller – will sich lieber selbst auslöschen als Fürsorge tragen. Die ungeliebte Nera (Nicole Beharie) versucht, ihre Einsamkeit mit einem auf neuartige Weise künstlich gezeugten Kind zu überwinden – ein fast mörderischer Irrtum, der Vorwand für eine Geburtsszene gibt. Die Reise der Astronautin Peg an die Grenze des Universums wiederum ist ein Suizid auf Raten. Helen Mirren kann diesen tristen Plot erstaunlicherweise selbst angeschnallt auf einem Sitz mit Leben füllen.

Die Altstars beweisen ohnehin, dass weniger mehr ist. Wie vergeblich verausgabt sich dagegen Constance Wu, die mit albernen Engelsflügeln auf den Schultern in einem Wartesaal sitzt und allerlei Emotionen bis zum Heulen von Rotz und Wasser durchturnt in der Solo-Tragödie Jennys: Diese kann nicht Mutter werden und wird das grauenvolle Gegenteil dessen. Doch das Gefühl der Scham, das sie bei der Wiedergabe dieser Horrorgeschichte eigentlich umtreiben müsste, vermittelt die technoide Simulation nicht.

Emotional am nachvollziehbarsten wirkt noch Sashas (Uzo Aduba) paranoide Angst vor dem Eintritt in ein postpandemisches Leben, die sie Jahre nach Ende des viralen Schreckens in ihrem smarten Eigenheim eingebunkert hält. Dabei wartet doch eine offene Welt jenseits der klaustrophobischen Enge von „Solos“ – auch auf das Publikum. Man müsste nur die Geräte ausschalten und rausgehen. Wer sich allerdings wirklich noch nicht vom heimischen Bildschirm lösen mag, sollte zur Einstimmung auf echte Begegnungen wohl besser „Good Will Hunting“ schauen als „Solos“. Denn dort gibt es Umarmungen nur als Erinnerung.

Solos, auf Amazon Prime

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