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#Alle Menschen werden Fans

„Alle Menschen werden Fans“

Billie Eilish ist in der Stadt. An jeder Ampel eine. Manchmal sind es sogar zwei, drei, auf dem Rad, an der U-Bahn: kurze Cargo-Hosen, weites kurzärmliges Hemd, Sneaker, die Haare zu Zöpfen gebunden, gefärbt. Rund um die Frankfurter Festhalle, wo an diesem drückend heißen, windigen Abend dann die eine, einzige und wahre Popsängerin Billie Eilish auftreten soll, ahnt man, wie lange ihre Doppelgängerinnen (und auch Doppelgänger) an diesem Sonntag auf den Auftritt gewartet haben müssen: Berge von Flaschen und Chipstüten und zerrissene Poster und ein paar erschöpfte Elternteile, die vorm Tor zum Gelände noch kurz auskühlen müssen, nachdem sie ihre Kinder abgeliefert haben.

Tobias Rüther

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Wenn sie nicht direkt mit hineingegangen sind, in die riesige Halle – um dort dann zwei Stunden lang selbst mitzusingen. Vielleicht, weil ihre Kinder die Songs von Billie Eilish – „Bad Guy“, „Getting Older“, „Bury a Friend“ – so oft gesungen haben, dass sie die irgendwann auch auswendig konnten.

Wahrscheinlicher ist aber, dass sie die Songs mitsingen können, weil sie selbst Fans geworden sind. Es geht leicht, irgendwann singt man automatisch mit, in der heißen Halle, vage textfest, aber das ist egal, weil alle singen und es nur um diesen Spirit geht: Um den gemeinsam erzeugten Glückskrach darüber, hier und heute und an dieser Stelle gleichzeitig mit Billie Eilish auf der Welt zu sein. Für zwei Stunden, auf die man nicht nur einen heißen Frankfurter Nachmittag, sondern zwei Jahre lang gewartet hatte. Billie Eilish hatte ihre Welttournee 2020 wegen der Pandemie abgesagt, dafür eine neue Platte aufgenommen, „Happier than Ever“, jetzt ist sie da.

Springt aus einer Luke auf die weitläufige Bühne, auf der sie sonst nur ihr Bruder an seinen vielen Instrumenten und der Schlagzeuger Andrew Marshall begleiten. Ein Sprung – und die Festhalle fliegt fast auseinander, so laut schreien alle. Danach wird durchgefeiert, so gut das geht in dieser Luft. „Kurz mal durchatmen, kurz mal hinsetzen“, ruft Billie Eilish immer mal wieder, „geht’s euch gut?“ Blöde Frage. We love you, Billie. Dann wedelt Finneas ihr frische Luft zu.

Über Zugaben wird nicht verhandelt

Billie Eilish ist der Überstar der Popmusik von heute. Eine Zwanzigjährige aus Los Angeles, die schon als Kind Songs geschrieben und gemeinsam mit dem älteren Bruder zu Hause produziert hat: rebellische, weise, unwiderstehliche Songs über das Jungsein, über Liebe, blöde Typen, Schmerzen und Scham und Selbstermächtigung. Sie strahlt eine Identifikationskraft aus, intensiver als die anderen Identifikationsfiguren der Popgeschichte vor ihr, vielleicht, weil sie nicht sagt: Komm in meinen Kreis, alles wird gut – sondern weil sie diesen Kreis immer weiter ausdehnt, bis alle dazugehören können.

Billie Eilish hat die inklusive Kraft der Popmusik für sich entdeckt. Eine Kunstform, die eigentlich vom Distinktionsgewinn lebt, in ein Geheimnis eingeweiht zu sein, das nicht alle verstehen. Billie Eilish aber schließt nicht aus, sondern ein. Sie öffnet sich, sie lädt ein, sie sagt: Seid dabei, egal, wie ihr ausseht.

Und es sehen ja eh fast alle in der Festhalle so aus wie sie.

Aber es ist nicht nur Billie Eilishs Image, der Stil ihrer Haare oder Klamotten, es sind auch ihre Songs: Schon in einem ganz frühen Hit wie „Ocean Eyes“ hört man diese Inklusivität heraus. Hört, wie tief Billie Eilish in der amerikanischen Unterhaltungsmusikgeschichte steckt, hört es in der Art, wie sie singt, wie sie auch die großen Showgesten sucht. Im Frühjahr hatte sie den „Oscar“ für die beste Filmmusik gewonnen, für den Bond-Song „No Time to Die“, der sich nicht nur spielerisch in die Liste großer Bond-Songs wie „Goldfinger“ einreiht, sondern auch in ihr eigenes Werk.

Dem Moderator David Letterman hat sie jetzt ihre Liebe zur amerikanischen Sängerin und Schauspielerin Julie London gestanden (1926 bis 2000), ein Einfluss, den man nicht gleich erwartet hätte, aber sofort heraushört. Er prägt das Songwriting ähnlich wie die immer wieder laut pumpenden Bässe und Beats des Hip-Hop von heute. Mit Letterman hatte Billie Eilish auch geübt, wie man mit dem Autotune-Programm die Stimme verändert. Es sollen offenbar wirklich alle mitmachen, auch die alten weißen Männer.

Zwei Stunden singt Billie Eilish, singen alle in der Festhalle, dann ist Schluss. Über Zugaben wird nicht verhandelt. Auch das ist ein Zeichen gemeinsamer Care-Arbeit zwischen Künstlerin und Publikum. Draußen erzählen sich die vielen Billies sofort, wie es war. Und so glüht die Luft noch etwas weiter.

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