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#Als die DDR träumte

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Als die DDR träumte

Am Silvesterabend des Jahres 1988 standen die Bohemiens des Prenzlauer Bergs auf den Dächern und Balkonen ruinöser Gründerzeitbauten, schauten in den Himmel, wo man manchmal die Lichter jener Flugzeuge sah, die im Westen, in Tegel, landen würden; sie prosteten einander zu und hatten keine Ahnung davon, was das neue Jahr ihnen bringen würde. So hat es die Schriftstellerin Annett Gröschner vor ein paar Jahren in einem Essay für die „Tageszeitung“ beschrieben. Ein paar Tage nach dem Jahreswechsel, so erzählt sie weiter, krachte im Karree ein baufälliger Balkon herunter. Vier Menschen hatten darauf gestanden; einer starb, die drei anderen wurden schwer verletzt.

Claudius Seidl

Das war „nichts, was uns überraschen musste“, kommentiert der Text dieses Unglück; und dass das ein Vorzeichen gewesen wäre, für das, was zum Ende des Jahres hin mit dem ganzen Staat passieren würde: Das sieht man allenfalls im Nachhinein.

Damals, so kommt es einem vor, war der Absturz eher ein Beleg dafür, dass das Leben in diesem Teil der Stadt freier, aber auch gefährlicher war. Die ordentlichen sozialistischen Bürger waren in die modernen Plattenbauten an der Peripherie gezogen; dort gab es Müllschlucker, Bäder und stabile Balkone. Der Prenzlauer Berg war das Gegenteil – nicht unbedingt der Großstadtdschungel, aber doch eine Wildnis, ein Steingebirge, eine Stadtlandschaft, die fünfzig Jahre zuvor modern gewesen war. Jetzt war sie nachmodern, postzivilisiert; fast hatten sich die Mauern zurück in Natur verwandelt.

Postmoderne West: John Hejduks Wohnanlage in der Charlottenstraße


Postmoderne West: John Hejduks Wohnanlage in der Charlottenstraße
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Bild: Berlinische Galerie

Ein paar Jahre davor, in den frühen Achtzigern und auf der westlichen Seite der Mauer, spielt Ulrich Peltzers Roman „Das bist du“, der aber auf die Stadt sehr ähnliche Blicke wirft. Einmal bekennt der Erzähler, dass er mit Landschaften nichts anzufangen wisse; er ziehe die Städte bei weitem vor. Aber je länger man dieser Erzählung folgt, desto deutlicher sieht man, dass dieser Erzähler sehr wohl Landschaften durchwandert, eben die Altbauviertel und die Brachen von Wilmersdorf, Charlottenburg und Kreuzberg, Moränen aus vergessenen Zeitaltern, mit Behausungen, die in ihrer Kargheit an Höhlen erinnern. Ins Freie wagt sich der Text am liebsten spätnachts, wenn nicht einmal mehr fahrende Autos darauf verweisen, dass es da draußen womöglich doch so etwas wie die Moderne geben könnte.

Die Spur des alternativen Milieus

Die Moderne war längst erledigt, als die ersten Nachrichten von der Erfindung der postmodernen Architektur in Berlin ankamen. Und im Nachhinein ist es schwer zu bestimmen, wer ihr, im Westteil der Stadt, den Rest gegeben hat: War es die durch und durch korrupte Bauindustrie, jener von Subventionen sich nährende politisch-industrielle Komplex, der, zum Beispiel, den „Spiegel“ zu dieser Titelzeile inspirierte: „Ich lerne langsam, dich zu hassen“ (gemeint war Berlin)? Oder war es das immer dominanter werdende alternative Milieu, das in jedem modernen Gebäude nur den Ausdruck maximaler Entfremdung sehen konnte?

Und im Osten freuten sich die Leute an den Innentoiletten und Zentralheizungen der Plattengroßbauten. Sie trauerten gleichwohl um jene Viertel, die verfielen oder zerstört wurden und an die sich doch die Erinnerungen und die Bilder von Herkunft und Eigenart der Menschen knüpften.

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