Wissenschaft

#Alternde Nerven-Isolierungen fördern Alzheimer

Ein neuer Ansatzpunkt im Kampf gegen die Alzheimer-Demenz zeichnet sich ab: Neurowissenschaftler sind einer Rolle der Isolierschicht von Nerven bei der Erkrankung auf die Spur gekommen: Der altersbedingte Abbau dieses sogenannten Myelins fördert die Bildung der Amyloid-Plaques, zeigen Untersuchungen am Mausmodell. Ein Verlangsamen der Myelin-Degeneration könnte es demnach vielleicht ermöglichen, das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit hinauszuzögern, sagen die Forscher.

Jeder vergisst mal etwas und es ist auch normal, dass manche kognitive Leistungen mit dem Alter etwas nachlassen. Doch bei Millionen von Menschen nimmt dies ein dramatisches Ausmaß an: Die Alzheimer-Krankheit gilt als weltweit häufigste Form der neurodegenerativen Demenz. Das Erkrankungsrisiko ist dabei deutlich mit dem Alter verbunden – ab dem 65. Lebensjahr verdoppelt es sich alle fünf Jahre. Die Entwicklung erfolgt bei Alzheimer schleichend: Beispielsweise vergessen Betroffene anfangs immer häufiger ihre Schlüssel – doch im fortgeschrittenen Stadium begreifen sie oft deren Funktion gar nicht mehr. Dadurch wird dann meist intensive Pflege nötig. Durch die enorme medizinische und gesellschaftliche Bedeutung werden die Ursachen, Entwicklungsprozesse und damit mögliche Ansatzpunkte für die Behandlung von Alzheimer intensiv erforscht. Doch noch immer gibt es viele offene Fragen.

Brüchiges Myelin im Visier

„Vor allem sind die grundlegenden Mechanismen für den Zusammenhang zwischen Alter und Alzheimer noch unklar“, sagt Seniorautor Klaus-Armin Nave vom Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (MPI-NAT) in Göttingen. Klar ist, dass bestimmte Ablagerungen in den Nervenzellen des Gehirns den Funktionsstörungen zugrunde liegen: Sogenannte Amyloid-Beta-Peptide verklumpen im Verlauf der Erkrankung zunehmen zu Plaques, die schließlich zum Absterben von Nerven führen. Im Rahmen der Studie ist das internationale Forscherteam nun Hinweisen nachgegangen, nach denen eine bereits prominente Komponente von Nervenzellen in den Prozess involviert sein könnte: das Myelin. Es handelt sich dabei um die fettreiche Isolierschicht der im Gehirn verlaufenden Nervenfasern, die neben weiteren Funktionen vor allem eine störungsfreie Reizweiterleitung gewährleistet.

Bekannt ist das Myelin für seine Rolle bei der Multiplen Sklerose: Bei dieser Autoimmunerkrankung wird diese Substanz angegriffen, wodurch es zu neuronalen Störungen kommt. Es ist auch bereits bekannt, dass die Myelin-Schicht mit zunehmendem Alter degeneriert – sie wird immer dünner und brüchiger. Im Rahmen ihrer Studie haben die Forscher nun ausgelotet, ob diese Veränderung mit der Entstehung von Alzheimer verknüpft sein könnte. Dazu führten sie Untersuchungen an „Alzheimer-Mäusen“ durch. Es handelt sich dabei um bestimmte Zuchtformen der Nager, die ähnlich wie Alzheimer-Patienten Amyloid-Plaques im Gehirn ausbilden. Erstmals untersuchte das Team jetzt aber Alzheimer-Mäuse, die zusätzlich Myelin-Defekte aufwiesen, wie sie auch bei fortgeschrittenem Alter im menschlichen Gehirn auftreten.

Angeschwollene Nervenfasern und überforderte Immunzellen

Wie die Wissenschaftler berichten, konnten sie mithilfe bildgebender sowie biochemischer Untersuchungsverfahren nun deutliche Zusammenhänge zwischen den beiden Aspekten nachweisen: „Wir haben festgestellt, dass der Myelin-Abbau die Ablagerung von Amyloid-Plaques im Gehirn von Alzheimer-Mausmodellen beschleunigt“, resümiert Co-Erst-Autorin Ting Sun vom MPI-NAT. Konkret zeigte sich zunächst, dass das defekte Myelin mit einer Belastung der Nervenfasern verknüpft ist, die zu einem Anschwellen und einer erhöhten Bildung der Amyloid-Beta-Peptide führt. Außerdem ging aus den Untersuchungsergebnissen hervor, dass die Myelin-Defekte die Aufmerksamkeit von Immunzellen des Gehirns – den Mikroglia – erregen und damit zur Plaques-Bildung beitragen.

„Diese Zellen sind sehr wachsam und kontrollieren das Gehirn auf jedes Anzeichen einer Beeinträchtigung. Sie können Stoffe, wie zum Beispiel tote Zellen oder Zellbestandteile, aufnehmen und zerstören“, erklärt Co-Erst-Autorin Constanze Depp vom MPI-NAT. Normalerweise erkennen und beseitigen die Mikroglia Amyloid-Plaques und sorgen damit für einen Müllabfuhr-Effekt. Aus den Beobachtungen geht nun jedoch hervor: Werden die Mikroglia sowohl mit defektem Myelin als auch mit Amyloid-Plaques konfrontiert, entfernen sie in erster Linie die Myelin-Reste. Die Plaques können sich hingegen weiter ansammeln. Vermutlich werden die Mikroglia durch die Myelinschäden abgelenkt oder sind mit dem Aufräumaufwand überfordert, erklären die Forscher.

Zumindest im Mausmodell zeichnet sich somit ab, dass altersbedingte Veränderungen des Myelins die pathologischen Veränderungen bei der Alzheimer-Krankheit fördern. In diesem Befund könnte dem Team zufolge großes Potenzial stecken: „Wenn sich die Ergebnisse beim Menschen bestätigen lassen, sollte die Förderung der Myelingesundheit als therapeutisches Ziel in Betracht gezogen werden“, schreiben die Wissenschaftler. Dazu sagt Nave abschließend: „Gelänge es, altersabhängige Myelin-Schädigungen zu bremsen, könnte dies auch den Ausbruch der Alzheimer-Krankheit verhindern oder verlangsamen“, so der Neurowissenschaftler.

Quelle: Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-023-06120-6

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