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#Endstation Seesucht

Endstation Seesucht

Vorhang auf für das letzte Kapitel der traditionellen Seefahrt, das scheint das Titelbild des Fotobandes bereits zu verkünden: Ein Matrose in strahlend weißer Uniform steht am Strand vor einem Fischernetz und blick dem Hochseedampfer am Horizont entgegen. Und da ist es schon, das verblassende Blau der See und der Sehnsucht. Abenteuer, Freiheit und die Chance neue Welten zu entdecken, das sind die Urversprechen der Seefahrt und wie anziehend müssen sie auf die jungen Männer nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gewirkt haben. In einer Zeit, in der Urlaubsreisen nicht nur unmöglich, sondern auch undenkbar waren, liefen sie in den Häfen von New York, Havanna, Singapur oder Borongan ein, entdeckten andere Kulturen, Temperaturen, Gerüche und Geschmäcker. 

Private Aufnahmen aus zwei Jahrzehnten

Der Bildband „The Great Escape” nimmt den Leser mit auf diese (Zeit-) Reisen und wirkt dabei wie der gut kuratierte Blick in ein Seemanns-Tagebuch oder das Fotoalbum der Großeltern, denn die Aufnahmen wurden nicht von professionellen Fotografen an Bord, sondern den Seeleuten selbst gemacht. Über 5.000 Einsendungen folgten dem Aufruf von Herausgeberin Julia Dellith auf der Suche nach Privataufnahmen aus den Fünfziger bis Siebziger Jahren. Die 170 prägnantesten Fotos hat sie in dem Bildband gekonnt zusammengestellt. 

Auch das Verladen von Kamelen dokumentierten die Hobbyfotografen.


Auch das Verladen von Kamelen dokumentierten die Hobbyfotografen.
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Bild: Verlag Kettler

So ergibt sich eine ganz eigene und neue Perspektive auf die Seefahrt dieser Zeit – in kräftigem Schwarz-Weiß sowie verblassten, verschobenen Farbtönen. Erschwingliche Kleinbildkameras ermöglichten es der Besatzung, ihre Beobachtungen und Entdeckungen festzuhalten. Die Aufnahmen kreisen dabei um zwei Pole: Schnappschüsse und sorgfältig komponierte Bilder. Ein gezielter, sparsamer Einsatz des Filmmaterial war notwendig, denn vom verschwenderischen digitalen Zeitalter waren die Fotografen weit entfernt. Für eine drei- bis viermonatige Ostasienreise, rechnet Julia Dellith in ihrem Essay vor, standen nur zwei Filme mit maximal 36 Aufnahmen zur Verfügung. Dementsprechend kostbar war jedes einzelne Bild. 

Fotografiert wurde dabei alles: vom Alltag an Bord (Wache, Maschinenraum, Mittagsschläfchen), den Kollegen, bis zu zahlreichen, liebevollen Details des eigenen Schiffs und natürlich Besonderheiten wie die obligatorische Äquatortaufe. Fernweh kommt bereits bei den Fotos von Lade- und Löschvorgängen am Hafen auf, wenn plötzlich ein Dutzend Ochsen auf dem Deck auf Stroh stehen, ein Kamel verladen wird oder neugierige Giraffenköpfe aus Holzboxen schauen. Und die Reiselust wird umso größer, wenn man die vielen Aufnahmen der Seeleute vom endlosen Ozean sowie den fremden Ländern mit ihren Sehenswürdigkeiten, aber auch Schnappschüssen in den belebten Gassen und Märkten sieht. 

Die Seefahrer entdeckten auf ihren Routen auch in den fünfziger Jahren noch Orte, an die man sonst nicht so einfach reisen konnte.


Die Seefahrer entdeckten auf ihren Routen auch in den fünfziger Jahren noch Orte, an die man sonst nicht so einfach reisen konnte.
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Bild: Verlag Kettler

Die Amateuraufnahmen können sich dabei sehen lassen – frei nach dem Motto „Reisen schärft den Blick” stehen sie den professionellen Fotografen kaum nach. Ihre Fotos erlauben zudem seltene Einblicke in das so streng hierarchische Leben an Deck. Welcher Matrose würde sich sonst schelmisch grinsend vor dem schwarzen Kreuz an der Außenseite des Schiffs, in das er gerade groß „Hunger” gepinselt hat, ablichten lassen? 

Die Fotos sprechen lassen

Ähnlich wie im Museum gibt es auch bei Bildbänden verschiedene Ansichten, wie Bild und Text angeordnet werden sollten. Julia Dellith verfolgt dabei den Ansatz, zuerst die Fotos sprechen zu lassen. Einzig die Kapiteleinteilung entlang der Handelsrouten Nord- und Südamerika, Südostasien sowie Kreuz- und Passagierfahrten geben eine Orientierung. Ausführliche Erklärungen und Informationen über die Aufnahmen sowie die Seefahrt von 1950 bis 1970 liefern die Texte nach den ersten 160 Fotoseiten. Das funktioniert ausgesprochen gut, denn so schaut man zuerst mit frischem, eigenen Blick auf die Bilder. Allerdings hätte es nicht geschadet, zumindest Titel, Jahr und Ort anzugeben, diese durchaus interessanten und wichtigen Informationen finden sich erst im Appendix. 

Mit viel Liebe, Recherche und klugem Auge öffnet „The Great Escape” für viele Landratten ein besonderes Kapitel der deutschen Seefahrt. Durch den Zweiten Weltkrieg nur noch ein Schutthaufen, steigt sie in den 50er Jahren als Bollwerk im Kalten Krieg zu alter Größe wieder auf und ist maßgeblich am Wirtschaftswunder der BRD beteiligt. Doch es ist auch das letzte Aufbäumen vor der Globalisierung. Spätestens seit den Siebziger Jahren sind die Containerschiffe so effizient, dass nicht mal mehr die Hälfte der Besatzung gebraucht wird. Auch die Ladezeit der Schiffe verringert sich drastisch von bis zu zehn auf heute maximal vier Tage. In diesem Sinne ist der Bildband ein gelungenes Zeitdokument und eine Hommage, nicht nur an die traditionelle Seefahrt, sondern auch das Fernweh in einer Zeit ohne Massentourismus und Internet. 

Der Bildband „The Great Escape – Fotografien von der Seefahrt 1950-1970” ist im November beim Verlag Kettler erschienen. Das gebundene Buch umfasst 256 Seiten mit insgesamt 170 Fotografien sowie Texten auf Deutsch und Englisch und kostet 25 Euro. 

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