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#An Mutbürgern zerbrechen Systeme

An Mutbürgern zerbrechen Systeme

Jung sein und die Schnauze voll haben: Das ist der Stoff, aus dem Revolutionen sind. Menschen, die gerade erwachsen werden, haben alles zu verlieren, aber eben auch alles zu gewinnen, ein ganzes Leben. So beschlossen Anfang 1989 Mitglieder der Leipziger „Initiativgruppe Leben“, die sich im Einsatz gegen die Verschmutzung der Pleiße politisiert hatten, den Schutzbereich der Kirche zu verlassen – innerhalb der Jungen Gemeinde der Nikolaikirche war bereits seit Jahren erstaunlich offen diskutiert worden – und mittels Flugblättern, zwölftausend an der stolzen Zahl, zu der nicht genehmigten Luxemburg-Liebknecht-Demonstration am 15. Januar 1989 aufzurufen.

Die nächtlich verteilten Zettel enthielten Forderungen nach Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, was selbst in der angezählten DDR unerhört war, und führten zu einer Reihe von Festnahmen. Dennoch fand die Demonstration statt. Der junge Fred Kowasch, heute Filmproduzent mit eigenem Online-Kanal, erklomm vor 800 Mutbürgern eine Mauer und forderte gar die Freilassung der politischen Gefangenen. Das ob solcher Chuzpe irritierte Regime reagierte mit weiteren Festnahmen, doch die Staatsführung gab den internationalen Protesten nach und ließ die Verhafteten nach kurzer Zeit wieder frei. Danach, man weiß es, wuchs die Welle in den Himmel, spülte zehn Monate später einen morsch und zynisch gewordenen Staat von der Weltbühne.

Was im Umfeld Leipziger Umweltgruppen und der Pleiße-Gedenkmärsche passierte, ist nur ein Kapitel der Vorgeschichte der Wende, aber ein besonders ermutigendes. Nachzulesen sind die Details seit vier Jahren in einem erhellenden Buch von Peter Wensierski, das uns zeigt, wie oft in diesem Kleinkrieg die Aufmüpfigen das mächtige System düpierten. Der Autor, damals westlicher Korrespondent in Ost-Berlin, arbeitet schön heraus, wie jung und wie enthusiastisch diese Oppositionellen waren. Da lag eine Verfilmung auf der Hand, und Andy Fetschers lebensfroher Verneigung vor der Generation Jetzt-oder-nie (nach einem Drehbuch von Thomas Kirchner) gelingt es, den Schwung und die innere Leichtigkeit des Aufbruchs einzufangen. Das ist nicht wenig.

Heilige Unschuld und die Erotik der Freiheitssehnsucht

Es ist leicht einzusehen, warum die Produktion der Ufa Fiction (im Auftrag von MDR, ARD Degeto und BR) aus der dokumentarischen Vorlage ein emotionales Protest-Drama macht. Jugendübermut, heilige Unschuld und die Erotik der Freiheitssehnsucht: Daraus werden utopische Revolutionsepen gemacht, zumal im Lande Schillers. Und Ferdinand Lehmann als furchtloser Dissident Stefan sowie Janina Fautz als flippige Franka, eben noch Disco-Tussi, dann Erwachte, geben ein so bezauberndes Paar ab, dass man einen Moment von den „Träumern“ träumen darf, Bernardo Bertoluccis Film-Poem, das den „Spirit of 68“ betörend ins Körperliche übersetzte. Auch als Gegenrede zu Milan Kunderas Roman, der die Unerträglichkeit solcher Leichtigkeit umspielt, ließe sich die Handlung im Ansatz deuten. Aber schon fliegt gewissermaßen ein Stein durchs ferne Fenster, und wir erinnern uns, dass wir einen deutschen Wohlfühlfilm vor uns haben, wo Glück stets durch tanzende schöne Menschen in der Abendsonne dargestellt wird und Unrecht am liebsten durch psychopathische Nazi- oder Stasi-Offiziere, die am Schreibtisch ungerührt Existenzen vernichten.

Beides passiert: Es wird exzessiv viel getanzt, natürlich oft zu Rio Reiser („Wir sind geboren, um frei zu sein“), und der fies griemelnde Stasi-Onkel wirkt besonders verschlagen. In seiner DDR-Ikonographie macht es sich der Film auch sonst manchmal leicht: eine flotte Trabi-Rennpappenszene oder der systemtreu Marxismus-Thesen abfragende Lehrer, das mag alles nicht falsch sein und bleibt doch erwartbar (bis auf den Schul-Protest à la Femen vielleicht). Vor allem die Figurenzeichnung aber wirkt überladen: Franka darf sich nicht einfach von Stefan und den Ideen seiner Umweltgruppe angezogen fühlen, es muss auch noch ein persönliches Trauma abgearbeitet werden, denn ihr kleiner Bruder starb bei Bitterfeld an Pseudokrupp, was die gebrochenen Eltern (Inka Friedrich; Alexander Hörbe) zu Regimegetreuen aus Fatalismus werden ließ. Jetzt wachsen sie an Frankas Rebellion. Auch Stefans Eltern hat der Sozialismus auf dem Gewissen. Und dass er den Staat duelliert, die Umwelt im Herzen trägt und mit Altenheimbewohnern über den Flur schwoft, reicht für seinen Heldennimbus noch nicht aus, er muss auch noch ein begnadeter Zeichner und ein Liedermacher à la Biermann sein.

Dieses programmatische Einkasteln der Protagonisten nimmt ihnen etwas von der Schwerelosigkeit, die sie verkörpern sollen. Es fehlt dem Film über mutige junge Menschen hier ausgerechnet: an Mut. Statt auf stereotype Erzählmuster zurückzugreifen, hätte man es wagen sollen, die Figuren eine offene Entwicklung aus sich selbst heraus nehmen und damit echt werden zu lassen. Auch das Happy End und die Fridays-for-Future-Anspielungen hätte es kaum gebraucht, weil wir alle vom Happy End einige Monate später wissen.

Doch genug der Krittelei, denn mag auch ein wenig Kitsch dabei sein, so doch solcher, der etwas in uns mitschwingen lässt: So keck und energetisch gespielt ist das alles, so temporeich inszeniert, so gelassen nostalgisch ausstaffiert und so verliebt in die Naivität der Jugend, dass wir uns von diesem leisen Märchen mit historischer Rahmung (alle gezeigten Proteste hat es gegeben) guten Gewissens die Seele streicheln lassen dürfen. Und die Mariannenstraße 46, das besetzte, heute längst top- und totsanierte Haus, in dem einst Uwe Schwabe, Gesine Oltmanns und andere konspirierten, wirkt im Film so verlottert paradiesisch, dass wir (kurz) bereuen könnten, je aus unseren Wohngemeinschaften ausgezogen zu sein.

Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution läuft heute um 20.15 Uhr im Ersten.

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