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#Ein großes Theaterwunder

Ein großes Theaterwunder

Es gibt im Musiktheater wenig Repertoire, in dem Pracht und Geist, Witz und Herz, Bezauberung und Aufklärung so glücklich und scheinbar mühelos zusammenfinden wie in den Märchenopern von Nikolaj Rimski-Korsakow. Er ist der unerreichte Meister dieses Genres, der Kindern mit Funkeleien und Flunkereien rote Ohren und große Augen verpasst und Erwachsene durch Einblicke in seine Ingenieurintelligenz aus der Fassung ge­raten lässt. Es sind Stücke, die im Ge­wand des Märchens Satire treiben und allerlei menschliche Dummheiten bloßstellen; Stücke, die aus sozialen und ethnologischen Studien über Volksbräuche und Singweisen Innovationen in Harmonik und Orchestertechnik ableiten. Zu­dem stecken sie voller intertextueller Bezüge zu anderen Kunstwerken und blei­ben doch leicht zugänglich. Ihrem Rang als Kunstwerk entspricht ihre Randständigkeit im Repertoire westlicher Opernhäuser überhaupt nicht.

Der Regisseur Christof Loy, der schon im Frühjahr mit dem Abend „Nur wer die Sehnsucht kennt“ nach Liedern von Peter Tschaikowsky in Frankfurt bewies, dass er von russischer Kunst nicht einfach nur hingerissen ist, sondern deren Formen, Tonfall und Themen ernst zu nehmen weiß, hat sich vom Frankfurter Intendanten Bernd Loebe gewünscht, Rimski-Korsakows Märchen „Die Nacht vor Weihnachten“ nach einer Erzählung von Nikolaj Gogol inszenieren zu dürfen. Als Er­gebnis ist nun eines der größten Theaterwunder der Frankfurter Operngeschichte zu bestaunen.

Loy gönnt sich und uns den Spaß, die Hexe Solocha mit dem Besen durch die Luft fliegen zu lassen; Enkelejda Shkoza sieht dabei aus wie Marina Abramović auf Speed. Der Teufel geht senkrecht am Schrank herunter und fliegt mit dem Schmied Wakula nachts durch die tanzenden Sterne – eine echt akrobatische Leistung der Tenöre, inklusive mehrerer Überschläge um die eigene Bauchachse – nach Sankt Petersburg, um von der Zarin Katharina der Großen goldene Pantoffeln zu holen, ohne die seine angebetete Oksana ihn nicht heiraten würde. Für die Hofgesellschaft hat die Kostümbildnerin Ursula Renzenbrink, die das Volk vom Dorf in postsowjetische Gebrauchtkonfektionen gekleidet hat, nicht an bunter Seide für Rokokokleider, Krinolinen, Knie­hosen und Fräcke, nicht an Tüll und Spitze für Hemden und Jabots, auch nicht an Perücken aller Arten gespart. Doch wäre die reine Verschwendung der Mittel gedanklich wieder zu billig. Denn die pittoresken Figuren werden durch Johannes Leiacker in einen weiß gekachelten, klinisch kalten Raum gefasst, der nach Verzauberung aus der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ heraus so bitterlich fleht wie ein Hungernder nach Brot.

Rimski-Korsakow hat sein Märchen als ein Theater angelegt, das episch gebrochen und kulinarisch zugleich ist. Er lässt ja am Ende die Figuren ein Loblied auf ihren Autor – offiziell den Dorfimker, in Wahrheit Nikolaj Gogol – anstimmen und macht so die Fiktionalität überdeutlich. Loy und Leiacker setzen um, was Ferruccio Busoni sich vom Musiktheater wünschte, nämlich dass „der Zuschauer der anmutigen Lüge auf jedem Schritt gewahr bleibe und nicht sich ihr hingebe wie einem Erlebnis“. Eine Theatralität, die auch dem luziden Illusionismus Rimski-Korsakows entspricht, der einem Freund einmal schrieb, „dass die Kunst im Grunde genommen die bezauberndste, hinreißendste Lüge“ sei.

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