#Tirol, wo die Welt noch in Ordnung isch!
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„Tirol, wo die Welt noch in Ordnung isch!“
Wen man auch fragt: Es gibt zu viele Krimis. Gleichzeitig aber schalten Zuschauer kaum etwas so gern ein wie Krimis. Dieses, das Fernsehkrimiparadox, verwundert bei näherer Betrachtung nicht. Der Fernsehkrimi – oder der Polizeifilm oder auch die Kriminalserie – ist nichts als ein verkaufsförderndes Label, mit dem sich selbst anspruchsvolleres Programm als Kassiber breitenwirksam machen lässt. Mehrteiler wie „Das Geheimnis des Totenwaldes“ mit Matthias Brandt nutzen alle dramaturgischen und ästhetischen Möglichkeiten des Fernsehens. Sie sind Familiendramen, Beziehungsstudien, Gesellschaftsansichten und Charaktererforschungen im fiktional-anschaulichen Medium, nicht Unterhaltung allein. Selbst bei sogenannten „Gebrauchskrimis“ finden sich Genre-Perlen. In den eingeführten Vorzeige-Reihen wie „Tatort“, „Polizeiruf 110“ oder den österreichisch-deutschen „Landkrimis“ reicht die Bandbreite von Klassikern bis Spielwiese. „Es gibt zu viele Fernsehkrimis“ klingt daher meist wie „Das gedruckte Buch ist tot“. Zeit für eine Ehrenrettung?
Die ist beim auf abgründige Weise heimatverbundenen ORF-ZDF-„Landkrimi“ unnötig. Bevor nächste Woche mit „Waidmannsdank“ in der zwanzigsten Folge eine skurrile Kärntner Dorfgemeinde untersucht und Jubiläum gefeiert wird, geht es in „Das Mädchen aus dem Bergsee“ nun zum zweiten Mal nach Tirol. Tote in Seen finden sich im „Landkrimi“ übrigens überdurchschnittlich häufig, so im Stausee Steyrdurchbruch („Der Tote im See“) oder im Salzburger Land in der Touristenhochburg Zell am See („Das dunkle Paradies“). Neben Inzest, Familienschuld, Verbrechen aus Heimatliebe und Traditionsbewusstsein und politisch hinterfotzigem Intrigantenstadl sind Dialekt und sprachliche Einfärbung hier beinahe Pflicht. Wer „Landkrimi“ mit „moderner Heimatfilm“ übersetzt, liegt nicht falsch. Auch bei „Das Mädchen aus dem Bergsee“ mit seinen sommerlich flirrenden, körnigen Rückblendenbildern mehr als dreißig Jahre zurückliegender Vorgänge am See (Kamera und Buch Eva Testor, Regie Mirjam Unger).
Rückblenden wie im Super-8-Gedächtnis-Film
Fünf Jahre alt war die Polizistin Lisa Kuen (Patricia Aulitzky) zu dieser idyllischen Zeit, die den Schrecken aufsparte. Ihre rätselhaften Erinnerungen, bei denen immer wieder dramaturgisch Symbolkraft fordernd die Farbe Gelb auftaucht, sehen aus wie ein Super-8-Gedächtnis-Film. Eigentlich ist die Einzelgängerin mit unüblichem Sozialverhalten gerade auf dem Weg zum Wanderurlaub, als in ihrem Tiroler Heimatdorf an der Sommerhütte ihrer Kindheit eine weibliche Wasserleiche auftaucht.
Als Kuens Blick am Flughafen auf ein Werbebanner fällt, auf dem ihr leiblicher Vater Franz Kindl (Fritz Egger) abgebildet ist, geht es prompt retour zu den wenig begeisterten Kollegen. Alex Yüsüf-Demir (Dominik Raneburger), korrekt und systematisch, hatte sich zur Abwechslung mal über eine Fallleitung und echte Teamarbeit gefreut. Zu früh. Die Tote arbeitete als Prostituierte im Innsbrucker Etablissement der Puffmutter Carla (Anna Thalbach) und teilte sich eine Wohnung mit Tamara (Maresi Riegner), die in Kinderverkleidung besonders die Pädophilen unter den Kunden anspricht. Polizist Alex hält Harry Hainl (Fabian Schiffkorn), den eifersüchtigen Freund der ermordeten Frieda (Lisa Stadler), für verdächtig. Es gilt, eine Mango-Topfenstrudlspur (schon das Rezept ist Grund für Sanktion) durch Innsbruck zu verfolgen.
Für Lisa Kuen freilich ziehen sich immer aufdringlichere Parallelen in die dörfliche Vergangenheit. Vater Franz, der in Deutschland Jahrzehnte als Fußballtrainer Meriten erworben hat und jetzt als heimgekehrter Held vom SV Tirol gefeiert wird („Tirol, wo die Welt noch in Ordnung isch!“), kommt ihr ebenso ins Visier wie die trunksüchtige Mutter Herta (Brigitte Jaufenthaler). Anna (Nora Schernthaner), Lisas jung gestorbene Schwester, erscheint als Memento, und der Pfarrer (Peter Mitterrutzner) weiß mehr, als Gott vergeben mag. Logisch, dass der Vorgesetzte Oberst Günther Schupp (Harald Windisch) die familiär verstrickte Polizistin suspendiert.
Logisch auch, dass sie im Dorf einfällt wie ein Racheengel mit dem Flammenschwert. Auch „Das Mädchen aus dem Bergsee“ ist mehr als Genrekost. Die Gelbe-Farbe-Symbolik mag vordergründig wirken, der Plot in Grundzügen einigermaßen bekannt sein, aber hier wird er eben nicht herrgottsschnitzartig grob umgesetzt, sondern in genauen Szenen und vergleichsweise eleganten Bögen erzählt, die den Figuren Raum zur Entwicklung geben. Es sei erwähnt, dass nicht nur die Hauptgewerke des Films, sondern auch andere Posten fast durchweg in Frauenhand liegen. Was noch immer nicht allzu häufig im Fernsehen vorkommt.
Landkrimi: Das Mädchen aus dem Bergsee, heute 20.15 Uhr im ZDF.
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