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#Die Uraufführung „Unser Leben in den Wäldern“



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Das Stück „Unser Leben in den Wäldern“ zeigt eine Gesellschaft unter gnadenloser Überwachung. Mit der VR-Brille des Staatstheaters Augsburg kommt man der Heldin dieser Dystopie sehr nahe.

Disco-Nebel zieht wie nächtliche Schwaden durch das alte Kühlergebäude auf dem Gaswerkgelände, statt Tierschreien hallen kalte, maschinelle Beats von den gefliesten Wänden, an Wald erinnern nur ein paar dünne Zierbäume aus Plastik. Nicht die unpassendste Atmosphäre für die im VR-Format produzierte Uraufführung des dystopischen Kurzromans „Unser Leben in den Wäldern“ der französischen Schriftstellerin Marie Darrieussecq. 

Virtuelle Inszenierungen des Staatstheaters Augsburg stoßen auf internationales Interesse

In einer Ecke des Raumes sind für das 360°-Erlebnis Drehstühle aufgebaut. Die Gesichter der Gäste verschwinden hinter massiven VR-Brillen und zusammen mit den großen Kopfhörern sehen sie aus wie eine mobile Einsatztruppe aus einer düsteren Zukunft, die mit Sicherheit nichts Gutes im Schilde führt. Es ist die mittlerweile elfte in einer virtuellen Realität inszenierte Produktion des Staatstheaters, und auch wenn einige Häuser in diesem Land das Format als Ersatz für die pandemiebedingten Schließungen der Bühnen genutzt haben, ist die Zahl der VR-Inszenierungen ein Alleinstellungsmerkmal in Augsburg. Schon vor den Lockdowns war das Format im Spielplan des Staatstheaters präsent, und so stoßen die virtuellen Inszenierungen aus Augsburg mittlerweile auf internationale Resonanz, wie Intendant André Bücker berichtet.

Er hat das Stück inszeniert, nachdem er über eine Rezension des 2019 erschienenen Romans stolperte und erkannte, „dass dieser Stoff ideal für dieses Format ist. Marie ist eine unzuverlässige Erzählerin, springt hin und her zwischen dem, was sie weiß oder nur denkt.“ Anders als in den vorherigen Produktionen wurde das Bühnenbild ausschließlich virtuell gebaut, das kleine Ensemble spielte vor einem Green Screen. In dem knapp 20-minütigen Auszug, den die Anwesenden an diesem Abend zu sehen bekommen, begegnet man eben jener Protagonistin Marie (Katja Sieder) zuerst als kleinem, unter einer grauen Decke verstecktem Häufchen in einem Wald. Dessen Darstellung wird immer wieder von kurzen Störmomenten unterbrochen, die komplexe Platinen und neonfarbene Cyberspace-Gitternetze aufblitzen lassen. Die Grenze zwischen Realität und einer von Computern sowohl generierten als auch beherrschten Parallelwelt verschwimmt. 

In „Unser Leben in den Wäldern“ bekommen Menschen Implantate eingesetzt

Mit jeder Zeile aus Maries Mund ahnt man, vor welch gnadenloser Überwachung sie in den Wald geflüchtet ist, die Dystopie setzt sich in kleinen Fragmenten zusammen, die langsam ein größeres Bild zeichnen: Tsunamis haben die Inseln der Weltmeere versenkt, die Menschen bekommen zur Geburt Implantate an Arm und Ohr eingesetzt, die sich über die Jahre ins Gewebe eingewachsen haben und nur in entsprechend schmerzhaften Selbstoperationen entfernt werden können. „DIE wollen nicht“, erzählt Marie, „dass Menschen verschwinden, ohne dass sie etwas davon wissen, DIE würden den Wald abbrennen, um in Planquadraten einen Baumgarten zu errichten, in dem es kein Unterholz mehr gibt.“ Der Lärm der Premierenfeier dringt durch die Kopfhörer, aber der Spannungsbogen vereinnahmt schon nach wenigen Szenen. Die Frage, wer „DIE“ eigentlich sind, lässt nicht mehr los, ebenso die Frage, ob wir uns nicht schon auf dem Weg in dieses düstere, menschenfeindliche Szenario befinden, dem Marie versucht zu entfliehen. 

Dystopien funktionieren besonders gut, wenn sie für eine nicht allzu ferne Zukunft plausibel sind. Sieht man sich den Zustand der Welt an, die Technologie der Überwachung und den Drang zur Selbstoptimierung, wirkt die Darstellung dieser totalitären Kontrollgesellschaft eindrucksvoll nach. Weckt die Arbeit der „Klicker“ (Thomas Prazak) genannten Menschen, die Robotern durch Assoziationsketten Empathie beibringen sollen, unangenehme Parallelen zu den Diskussionen um Künstliche Intelligenzen? Ist die Idee von Klonen als Ersatzteillager nicht eine konsequent zu Ende gedachte Allegorie auf den Hype der Selbstperfektion? Und verschwimmen nicht auch die Grenzen zwischen Mensch und Maschine immer mehr? Das Pflaster auf Maries Auge verrät schonungslos, dass sie die Rolle der Organspenderin innehatte. 

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Nach dem Auftauchen aus der virtuellen Welt wird das Kühlerhaus im Gaswerk zur Party-Stätte

Die beeindruckendste Szene erfährt man aus der Perspektive des Herrschenden. Senkt man den Kopf, nimmt Marie mit ihrem verbleibenden Auge einen starr machenden Blickkontakt auf und sagt immer wieder in von aller Hoffnung verlassener, tonloser Stimme diesen einen Satz: „Ich bin allein.“ Die virtuelle Realität erlaubt eine Immersion in ihre Welt, die in dieser Unmittelbarkeit auf einer klassischen Bühne so nicht funktionieren würde. Und das hallt nach, auch wenn nach dem Auftauchen aus der virtuellen Welt das Kühlerhaus wieder zur Party-Stätte wird.

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