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#Auf dem Trockenen: Warum ich keinen Bock mehr auf Alkohol habe

Das letzte Glas Alkohol habe ich vor ziemlich genau 12 Jahren getrunken. Der Abend begann auf der Geburtstagsfeier meiner Kommilitonin mit der trügerischen Süße von Erdbeerbowle, nahm seinen Lauf mit einer unangenehm kurvigen Busfahrt zu einer Bar mit Gin Tonics für zwei Euro mit großem Spülwasseranteil, endete mit meinem Kopf zwischen den Knien in irgendeiner Gasse, wo mir ein random Mädel netterweise helfen wollte, das aber selber nicht mehr richtig stehen konnte. Und er endete mit der Frage, warum ich mir das alles überhaupt noch gebe.

Denn geschmeckt hat mir Alkohol noch nie. Mir kann auch keine*r glaubhaft weismachen, dass ihm*ihr der allererste Schluck Bier/Wein/Schnaps sofort gemundet hat, ohne den natürlichen Impuls zu haben, alles im hohen Bogen wieder auszuspucken. Wahrscheinlich trinkt man sich an den Geschmack heran, bis man ihn mag. Oder man hat wie ich einen Kindergaumen mit den Geschmacksknospen einer Dreijährigen. Sprich: Zucker in rauen Mengen – läuft. Sobald etwas zu bitter, scharf, intensiv oder kurz gesagt „erwachsen“ schmeckt, bin ich raus. Meine infantile Zunge ist vielleicht auch der Grund, warum ich neben Alkohol auch Kaffee und Zigaretten wirklich widerlich finde. Wenn ich jetzt noch mein liebstes Hobby „Sitzen“ gegen Sport austauschen und meine Salzexzesse einstellen würde, könnte ich vermutlich locker 200 Jahre alt werden.

Ich hatte mir Alkohol eigentlich als soziales Schmiermittel ausgemalt, einen Zaubertrank, der im Handumdrehen locker, witzig und ungehemmter macht.

Vor jenem Abend, der meine dauerhafte Trockenzeit einläutete, habe ich mir also eher mit Unwillen Alkohol eingeflößt und freute mich bis dato mehr auf die Obst-Garnierung am Cocktailglas als den Inhalt. Ich hatte mir Alkohol eigentlich als soziales Schmiermittel ausgemalt, einen Zaubertrank, der im Handumdrehen locker, witzig und ungehemmter macht. Ich dagegen fühlte mich nach dem ersten, spätestens nach dem zweiten Drink immer nur schwummrig, schwindelig und wurde von bleierner Müdigkeit überfallen. Nicht, dass ich oder mein schmaler Geldbeutel mehr vertragen hätten. Trotzdem folgte ich dem beschwipsten Strom Nacht für Nacht zu Bar-Hoppings und Drink-Specials, weil ich dachte, das sei nunmal ein wichtiger Teil vom Erwachsenenleben. Jeder Film, jede Werbung, jede gesellige Veranstaltung zeigte mir, dass zu einer guten Zeit auch automatisch immer ein Glas in der Hand gehört. Also habe ich einfach nur irgendwas falschgemacht?

Alkohol ist der Teil unserer Gesellschaft, Teil unserer Kultur, Teil vom Alltag. Wir stoßen an auf Geburtstage, auf Erfolge, auf das neue Jahr. Wir trinken, um uns aufzuputschen, oder um nach einem stressigen Arbeitstag wieder runterzukommen. Man trinkt, um gemeinsame Erinnerungen zu schaffen oder um welche auszublenden. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) haben Deutsche im Jahr 2020 pro Kopf 10 Liter reinen Alkohol konsumiert, womit wir im internationalen Vergleich als Hochkonsumland abschneiden.

Alkohol und Geselligkeit sind in unserer Kultur untrennbar miteinander verbunden

Man bekommt von klein auf mit, dass Trinken und Geselligkeit untrennbar zusammengehören. Da Kinder zumindest offiziell keinen Alkohol trinken dürfen, kommt zum Glück Robby Bubble ins Spiel, ein zuckriges Limogesöff, das aber schon aussieht wie eine Sektflasche. Leere Alkopops-Flaschen mit Bacardi Breezer habe ich mir als Teenie als Trophäen und Pfeiler der Adoleszenz stolz ins Regal gestellt. Von der Vorstellung, dass keinen Alkohol zu trinken mit sozialem Suizid gleichzusetzen ist, musste ich mich also erstmal lösen.

Die Tatsache, dass ich nun aus freien Stücken auf Alkohol verzichte, stößt jedoch immer wieder auf pure Verwunderung:
„Ist das etwa Tee in deinem Glas, ich dachte, das sei ’ne Party?“
„Mit Wasser anstoßen zählt nicht!“
„Du trinkst nicht? Dann kann ich ja auch nichts bestellen, allein ist ja voll blöd.“
„Ist das nicht schlimm, als Einzige nüchtern zu sein?“
„Wie kannst du überhaupt feiern gehen, ohne zu trinken?“

Es fällt es mir schwer, das Konsumverhalten von anderen einzuschätzen. Wenn der eigene Normalwert bei null ist, klingt alles andere plötzlich viel.

Zumindest die letzte Frage kann ich problemlos beantworten:
Ich sehe die Tanzfläche. Ich betrete die Tanzfläche. Ich betanze die Tanzfläche, hart. Nach ein paar Stunden gehe ich völlig erschöpft nach Hause und springe am nächsten Morgen (okay, Mittag) quietschfidel wieder aus dem Bett. Die fehlenden Trips zur Bar bedeuten aber auch: Ich kann mir natürlich nichts und niemanden schöntrinken. Wenn der DJ, die Location oder die Leute scheiße sind, dann ist halt auch der Abend scheiße. C’est la vie. Aber wenn die Gleichung „feiern = trinken“ heißt, bedeutet das ja im Umkehrschluss auch, dass man sich erst ein Nervengift einflößen muss, um irgendeine Art von Freude zu spüren und loslassen zu können. Irgendwie ein bisschen traurig.

Wenn Leute erzählen, was sie für einen heftigen Kater haben, lächle ich pflichtbewusst, kann es aber gar nicht nachfühlen. Ich hatte schlichtweg nie einen. Wenn Leute sich damit brüsten, wie viel sie getrunken habe, finde ich das weder eine besonders krasse noch bewundernswerte Leistung. Generell fällt es mir schwer, das Konsumverhalten von anderen einzuschätzen. Wenn der eigene Normalwert bei null ist, klingt alles andere plötzlich viel. Muss ich mir Sorgen machen, wenn ein Freund jedes Mal einen Drink bestellt, wenn wir uns sehen, egal zu welcher Tageszeit? Ist es schon alarmierend, wenn eine Kollegin nach jedem Wochenende von einem Totalabsturz erzählt? Ist das vollkommen normales Verhalten oder habe ich Menschen mit Alkoholproblem im Bekanntenkreis, ohne es zu wissen?

Alle sollten frei darüber bestimmen können, was sie ihrem Körper zuführen. Aber eben frei und nicht aus Zwang, nur weil das irgendwie dazugehört.

Laut der BZgA gibt es risikoarmen Konsum, bei dem das Gesundheitsrisiko relativ gering bleibt. Für Frauen liegt der Wert bei einem Standardglas (10-12 Gramm reiner Alkohol, zum Beispiel ein kleines Bier oder ein Glas Sekt) pro Tag, bei Männern bei zwei. Dazu sollte man zwei alkoholfreie Tage in der Woche einhalten. Alles über diesem Wert gilt als riskanter Alkoholkonsum. Fast 15 % der Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren fallen in letztere Kategorie. Von Alkoholmissbrauch spricht man dann, wenn der Konsum zu Schäden führt – gesundheitlich, aber auch psychisch und sozial. Die Grenzen sind dabei fließend. Und eine Alkoholsucht fällt oft lange nicht auf, da man vom Konterbier am Morgen bis zu Afterwork-Cocktails den ganzen Tag und zu jedem Anlass gesellschaftlich akzeptiert und applaudiert Alkohol trinken kann.

Als große Verfechterin von Selbstbestimmung will ich kein Moralapostel sein, der das Feuerwasser komplett verteufelt. Alle sollen frei darüber bestimmen können, was sie ihrem Körper zuführen. Aber eben frei und nicht aus Zwang, nur weil das irgendwie dazugehört. Dazu gehört auch, andere nicht ständig zum Trinken zu nötigen, wenn sie das aus welchen Gründen auch immer nicht wollen – auch nicht zum „Komm-schon-nur-das-eine-Glas“. Wenn ich mit Selters statt mit Sekt anstoße, heißt das nicht, dass mein Zuprosten weniger zählt.

Happy mit Selters statt Sekt

Dass ich nicht trinke, hat weder religiöse noch moralische Gründe. Ich bin nicht schwanger und keine trockene Alkoholiker*in. Ich trinke nicht, weil es mir nicht schmeckt und weil ich mich danach nur schlechter fühle als vorher. Ich trinke nicht, weil ich es schlichtweg nicht brauche. Und ich denke, das wird auch so bleiben.

Darauf ein Prosit. Mit Maracuja-Schorle.

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