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#Auf dem Weg nach Graceland

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Auf dem Weg nach Graceland

Alles, was die Größe Paul Simons ausmacht, verdichtet sich in einem seiner Lieder: „Graceland“. Es ist Folk-, Rock- und Weltmusik in einem, es hat Witz und Würde, und es kann, vorgetragen mit der verletzlichen Chorknabenstimme, die bis heute seinen Gesang wie auch sein Sprechen auszeichnet, wohl Steine erweichen.

Wenn man die Zusammensetzung der Musik verstehen will, geht das am einfachsten anhand der Erklärung Paul Simons selbst. Er hat sie in einer Art Mini-Hörspiel gegeben: „The Story of Graceland“, erschienen auf einer Sonderedition des gleichnamigen Albums nach 25 Jahren, beschreibt seine Idee, einen Chick-a-boom-Rhythmus im Stile von Johnny Cash zu verschmelzen mit dem Rhythmus des südafrikanischen Bassisten Bakithi Kumalo, dann auch bei der Gitarre eine Mischung aus afrikanischen und amerikanischen Countryklängen zu erzeugen und schließlich, auf der Suche nach einem Text dazu, sich inspirieren zu lassen von einer Fahrt zu dem Ort, der zum Inbegriff für Elvis Presley geworden ist, aber eben auch noch viel weitere, biblische Assoziationen weckt.

Während Simon spricht, werden die Klangspuren eingeblendet, bis langsam das Gesamtkunstwerk „Graceland“ entsteht. Es ist zu Recht als Höhepunkt einer pankulturellen Verschmelzung gefeiert worden, die amerikanische Musik zu ihren Wurzeln zurückverfolgt. Sie war sowohl bei der Produktion (gemeinsam mit afrikanischen Musikern wie auch Ray Phiri und dem Chor Ladysmith Black Mambazo sowie den Everly Brothers) als auch bei der Rezeption in Konzerten von Rotterdam bis Südafrika gelebte Völkerverständigung – nur Verrückte können in einer solchen Art der kulturellen Aneignung, die zum Wesen der Popmusik gehört, etwas Verwerfliches sehen.

Dass Simon 1986, also nach schon fast dreißig Jahren im Musikgeschäft, bei dieser tiefen und doch so federleicht wirkenden Aneignung angelangt ist, kann wohl am besten als Ergebnis einer langen Schulzeit verstanden werden: Vielleicht musste er erst durch so viele Genres gehen, um bei „Graceland“ anzukommen, von seinen ganz frühen Tagen im Kinderduo Tom & Jerry und als Teenage-Rocker bei Tico & The Triumphs („Motorcycle“, 1961), über den Folk-Geist des Greenwich Village, der ihm Lieder wie „The Sound of Silence“ oder „The Boxer“ diktierte, über die Engelsharmonien und manchmal auch allzu kitschigen Kulturanverwandlungen von Simon & Garfunkel (man denke an die Panflöten von „El Condor Pasa“) bis zu den Experimenten seiner Solokarriere, die ihrerseits von Latin über Jazz und Blues reichen. Vielleicht musste er erst die „Coo-coo-cachew“-Kinderreime über „Mrs. Robinson“ und das Seniorenlied „Old Friends“ schreiben, mit seinem Schulfreund Arthur Garfunkel vor einer halben Million Menschen „America“ im Central Park singen, um zu erkennen, dass Menschen manchmal nur sehr einsame Trampoline für andere Menschen sind.

Zwischen Country und Woody Allen

Damit ist man bei Witz und Würde. Was diese angeht, muss man sich nur einen Satz am Anfang der zweiten Strophe von „Graceland“ anschauen: „She comes back to tell me she’s gone“. Er könnte in seiner traurig-lustigen Widersprüchlichkeit ebenso aus einem Countrysong wie aus einem Film von Woody Allen stammen: Der Unglücksrabe ist wieder allein, und er hatte ohnehin schon an der Art, wie seine Frau sich die Haare bürstete, erkannt, dass sie einen anderen hat.

Paul Simon wirkt stets so ernsthaft traurig, so grundseriös melancholisch, dass er auch in Talkshows kaum je die Lockerheit erreicht, die dort erwartet wird. Wenn er einen Witz oder eine Anekdote erzählt wie etwa einmal bei David Letterman seine Verwechslung mit Neil Simon, macht er es so umständlich und redundant, dass er einem schon wieder leidtun kann. Und eben deswegen lässt man sich von diesem Mann gern in den Schlaf singen, er hat viel Schmerz gesehen und daraus bittere Weisheiten destilliert: „I say losing love is like a window in your heart / Everybody sees you’re blown apart“. Das Gute ist: Es bleibt in seinen Liedern meistens nicht nur bei der Trauer. Aus „Fifty Ways to Leave Your Lover“ weiß man schließlich, so deprimierend die Strophen klingen, dass im Refrain immer noch manche Lösung wartet: „Slip out the back, Jack. Make a new plan, Stan“.

Die Härten einer Popmusik-Karriere, die ohne ein solche Flexibilität wohl nie so lang geworden wäre, hatte Paul Simon bereits 1980 in dem halbautobiographischen Spielfilm „One-Trick Pony“ über einen abgehalfterten Sänger verarbeitet, der ironischerweise völlig floppte, ihm aber die Hitsingle „Late in the Evening“ bescherte. Nur wenige Jahre später wurde er eben mit „Graceland“ endgültig zum Weltstar, und danach folgte noch mal eine Karriere von der Länge der vorherigen, die nicht weniger überraschend war. Sie brachte brasilianische Rhythmen, das Musical „Songs from the Capeman“ über die amerikanische Einwanderergesellschaft und die Todesstrafe, das erste Alterswerk „You’re the One“ (2000) und das abgeklärt-jazzige Album „Stranger to Stranger“ (2016).

Was schließlich sein wichtigstes Instrument angeht, die Stimme: Sie ist sich treu geblieben durch alle Jahrzehnte, in demütiger Glockenhelle von „Bleecker Street“ bis zu „Señorita with a Necklace of Tears“, lotet aber auch ihre theatralischen Qualitäten noch immer weiter aus (wie bei „Pigs, Sheep and Wolves“), sie kann bitteren Sarkasmus ebenso spürbar machen wie die Naherwartungshoffnung „We all will be received in Graceland“. Heute wird Paul Simon, einer der bedeutendsten Songschreiber und Sänger, achtzig Jahre alt.

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